Stellen wir uns mal kurz das westliche Lieblingsszenario vor: Deutschland liefert Taurus-Raketen an die Ukraine. Offiziell. Mit Pressemitteilung. Mit Applaus aus Brüssel. Ein „Zeichen“. Ein „Durchbruch“. Klingt gut. Ist es aber nicht.
Denn kaum sagt in Berlin jemand „Taurus“, weiß man in Moskau schon, wie viele, wohin, mit welcher Treibstoffmischung und welcher Schraubenziehergröße geliefert wird. Der Bundestag ist kein Geheimdienst. Und wer dort mithört, tut das nicht immer im Interesse des Landes. Was offiziell verkündet wird, ist oft schneller in Moskau als in Ramstein. Wer glaubt, unter diesen Umständen lasse sich Militärhilfe sicher koordinieren, hat politische Realität mit Zeremonienpolitik verwechselt.
Und als ob das nicht reicht, kommt der zweite Hebel: Mit genug Zugang und Narrativ-Generatoren lassen sich binnen 48 Stunden „Friedensdemos“ organisieren. Mit Trillerpfeifen und Putin-Verstehenden, die sich für Mahatma Gandhi halten. Aus „Solidarität“ wird Sabotage. Aus Lieferung wird Debatte. Aus Zeit wird Stillstand.
Denn Deutschland hat ein zweites Problem: sich selbst. Stell dir einen deutschen Beamten vor. Sauberer Scheitel, Krawatte, Karte auf dem Tisch: Hier das russische Munitionslager. Da die ukrainische Front. Und hier – der Taurus. Und plötzlich ist nicht mehr die Logistik im Kopf, sondern der Phantomschmerz von 1943. Panzer, Stahlgewitter, Schuld. Der Verstand sagt: militärisch sinnvoll. Das Bauchgefühl sagt: „Bloß nicht wieder der Böse sein.“
Russland hat diesen Trigger längst identifiziert. Der Kreml spielt auf deutscher Klaviatur wie ein depressiver Pianist: ein bisschen Schuld hier, ein bisschen Vergangenheit dort, fertig ist der kulturelle Erpressungsversuch. Kaum fliegt ein Taurus in Richtung Woronesch, halluzinieren russische Telegram-Kanäle schon den nächsten Überfall Barbarossa. Und in Berlin zuckt der politische Zeigefinger zurück, aus Angst, TikTok könnte titeln: „Mich hat wieder eine deutsche Rakete getötet.“
Während wir uns selbst analysieren, analysiert Russland unsere Schwäche. Während wir Schuld durchkauen, kauen russische Drohnen auf ukrainischen Umspannwerken. Der Krieg wartet nicht auf unsere Therapiesitzung. Frankreich liefert. Großbritannien liefert. Die USA haben ATACMS mit Cluster geliefert. Die Ukraine trifft längst Ziele in Brjansk und Kursk. Nur der Taurus? Der wartet noch auf den Segen aus Berlin-Mitte. Als ob man einer heiligen Waffe erst das Trauma austreiben müsste, bevor sie überhaupt starten darf.
Statt Taurus mit Pressefanfare zu verschicken, gäbe es eine einfache Alternative: Gebt nicht die Raketen. Gebt die Fähigkeit, sie selbst zu bauen. Technologie-Transfer. Baupläne. Bauteile. Komponenten. Die Ukraine hat das Know-how. Sie hat die Werkbänke. Sie hat die Leute. Gebt ihnen das „Lego“, den Rest übernehmen sie.
Wenn am Ende irgendwo in Winnyzja ein Taurus-Nachbau entsteht – mit anderem Logo, anderem Namen, anderem Farbcode – dann ist das keine deutsche Rakete mehr. Dann ist das ein Banderius. Oder ein Mazepius. Oder wie auch immer sie’s nennen wollen. Und plötzlich gibt es keine deutsche Eskalation mehr. Keine Pflicht zur Konsultation. Keine NATO-Falle. Nur ukrainische Raketen, ukrainische Ziele – und ein paar sehr überraschte russische Munitionslager.
Denn das Beste kommt noch: Fertige Raketen lassen sich tracken. Klar. Transportroute, Sicherheitsstufe, Zielort – alles einsehbar, alles heikel. Aber zerlegte Teile? Wenn das Gehäuse als „Industrieblech“, die Navigationseinheit als „optischer Sensor“, der Treibstoff als „chemisches Lösungsmittel“ und die Hülle als „medizinische Schutzverkleidung“ verschickt wird – wer soll da bitte was nachverfolgen? Statt einer Route für eine Waffe – plötzlich 15 Routen für „nichts Besonderes“. Und in Berdytschiw steht am Ende ein kompletter Banderius. Funktionsfähig. Unsichtbar. Unverfolgbar.
Willkommen im strategischen Idealzustand: Deutschland liefert offiziell keine Taurus. Die Ukraine erhält faktisch präzise Langstreckenwaffen. Russland kriegt den Schlag – aber keine Adresse.
Und jetzt kommt der eigentliche Witz: Bei Taurus braucht es Berichtspflicht. An Verbündete. An die NATO. Vor jedem Einsatz. Mit Begründung. Koordinaten. Legitimation. Bei einem „ukrainischen Eigenprodukt“? Zero Accountability.
Die Entscheidung trifft allein der ukrainische Generalstab. Wohin. Wann. Wie oft. Und während Moskau noch rätselt, woher das Ding kam, fliegt der nächste. In der Realität zählt nur, was ankommt – nicht, was angekündigt wurde. Keine Ansage. Kein Absender. Nur Wirkung.
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— Trollhunter