Tresor auf, Klappe zu: Wie ein Tscheche den Mythos vom unantastbaren Kremlgeld zerlegt

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Verfasst von Watchdog

Juli 28, 2025

300 Milliarden Euro. Eingefrorenes russisches Staatsvermögen in europäischen Banken. Nicht irgendwo – sondern mitten im System. Belgien, Frankreich, Deutschland. Kein Geheimnis. Jeder weiß es. Jeder schaut drauf. Keiner rührt es an.

Dabei liegt der Plan längst auf dem Tisch. Ondřej Kolář, tschechischer EU-Abgeordneter, will genau das: Konfiszieren. Nicht einfrieren, nicht diskutieren, nicht bedauern – sondern enteignen. Vollständig. Endgültig. Rechtsverbindlich.

Sein Antrag fordert einen EU-weiten Mechanismus, der eingefrorene Staatsaktiva Russlands in Wiederaufbauhilfe für die Ukraine überführt. Keine Lücke, kein Schlupfloch. Und das Erstaunliche: Der Auswärtige Ausschuss hat zugestimmt. Die Plenarabstimmung im Parlament steht kurz bevor.

Und plötzlich wird’s unruhig. Nicht in Moskau – dort hat man mit sowas gerechnet. Sondern in Paris und Brüssel. Denn dort liegt das Geld. Genauer: Über 180 Milliarden Euro davon bei Euroclear, dem belgischen Zentralverwahrer. Jährliche Zinseinnahmen: über 3 Milliarden. Die Haltung: ruhig. Der Zugriff: blockiert. Die Argumentation: systemisch, neutral, rechtlich komplex.

Kolář nennt es, wie es ist: Ausflüchte. Frankreich spricht von Risiken für die Eurozone, Belgien von Gefahren für Investorenvertrauen. Was sie wirklich meinen: Wenn man das durchzieht, fällt ein Tabu – und mit ihm ein ganzer Mythos.

Seit 1944 gilt in der westlichen Welt ein unausgesprochenes Abkommen: Staatsgeld wird nicht angetastet. Egal was passiert. Selbst wenn ein Staat Krieg führt, Städte zerbombt, Völkermord betreibt – solange das Geld formal korrekt eingebucht ist, bleibt es unberührt. Das Prinzip heißt: Souveränität schützt Kapital.

Kolář hält das nicht nur für überholt – sondern für systemisch falsch. Denn genau dieses Prinzip erlaubt es Staaten wie Russland, internationale Finanzsysteme zu nutzen, während sie gleichzeitig ihre Nachbarn überfallen. Er will diesen Widerspruch beenden. Und nimmt bewusst in Kauf, was die Finanzwelt als Risiko beschreibt:

Wenn russisches Vermögen konfisziert wird, verliert der Euro seinen Nimbus als neutrale Reservewährung. Kapitalflüsse könnten sich verschieben. Gold und Yuan an Attraktivität gewinnen. Investoren umdenken. Der Euro wird nicht mehr als unpolitisches Asset wahrgenommen – sondern als Währung mit Haltung.

Für Kolář ist das kein Kollateralschaden, sondern ein notwendiger Kurswechsel. Denn wer Neutralität predigt, während er Aggressoren schützt, hat bereits Partei ergriffen – nur auf der falschen Seite.

Kolář kontert mit maximaler Öffentlichkeit. Er nennt die Blockierer beim Namen. Er spricht von Kommissionsdruck. Von Briefen an den belgischen König. Von Staaten, die Ausreden erfinden, weil sie sich vor den Konsequenzen fürchten.

Und genau an diesem Punkt wird das juristische Detail zur politischen Sprengladung. Wenn dieses Gesetz durchkommt, bedeutet das: Erstens – Russland verliert nicht nur Geld, sondern Zugang. Zweitens – Diplomatengebäude verlieren ihren Schutz, wenn sie unter staatlicher Verwaltung stehen. Drittens – Daten, Netzwerke und Deckstrukturen werden angreifbar. Wer wissen will, was in russischen Liegenschaften in Belgien oder Frankreich wirklich gespeichert ist, braucht dann keinen Spion mehr – sondern nur noch einen Gerichtsbeschluss.

Genau deshalb wird gezögert. Denn Kolář öffnet damit keinen Präzedenzfall – sondern einen Werkzeugkasten. Wenn man Russland enteignen kann, kann man auch andere enteignen. Staaten, die Öl verkaufen und Oppositionelle hinrichten. Staaten, die ihre Bürger als Geiseln nehmen. Staaten, die Druck auf Europa ausüben, weil sie wissen: Ihr schützt lieber euer Geld als eure Prinzipien.

Kolář dreht dieses Kalkül um. Er sagt: Wer Regeln will, braucht auch Konsequenz. Wer Stabilität will, darf nicht schweigen, wenn sie missbraucht wird. Und wer die Ukraine wirklich beim Wiederaufbau unterstützen will, muss dort anfangen, wo das Geld liegt – nicht da, wo die Betroffenheit am bequemsten ist.

Die Entscheidung fällt im Herbst. Wenn das Parlament zustimmt, muss die EU-Kommission liefern. Dann wird aus einem Antrag ein Auftrag. Und Kolář hat angekündigt, ihn zu nutzen – mit allem, was Brüssel nicht hören will.

Die Frage ist längst nicht mehr juristisch. Sie ist strategisch.
Was ist gefährlicher für Europa – ein Reputationsverlust bei Investoren?
Oder ein bleibender Beweis, dass ein Angriffskrieg keine finanziellen Folgen hat?

Kolář hat seine Antwort gegeben. Der Rest Europas ist noch am Rechnen.

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— Trollhunter

Quellen und Einordnung:

Berichte aus Tschechien (u. a. FORUM 24), Stellungnahmen von Ondřej Kolář im EU-Parlament, Dokumente des Außenpolitikausschusses. Ergänzt durch Recherchen zu Euroclear, Bilanzen eingefrorener russischer Staatsaktiva in der EU sowie öffentliche Aussagen französischer und belgischer Regierungsvertreter.
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