Putins Familien-AG: Wenn Blut dicker ist als Staat

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Verfasst von Watchdog

November 19, 2025

Jede Diktatur endet gleich – im Wohnzimmer. Wenn das Misstrauen größer wird als das Vertrauen, wenn Generäle zu reich und Freunde zu unabhängig werden, bleibt nur noch das Blut. Dann wird aus einem Staat eine Familie – und aus einer Familie ein Kartell. Genau da steht Russland heute: ein Familienbetrieb mit Atomwaffen.

Die legendäre „Vertikale der Macht“ ist längst keine politische Struktur mehr. Sie ist eine Erbstruktur. Ministerien, Behörden, Konzerne – alle sind vernetzt über Gene, Hochzeiten und Loyalitäten. Kein Kabinett, kein Parlament, keine Elite. Nur noch Verwandte. Russland ist keine Föderation mehr. Es ist ein Familienclan mit Nuklearsilo.

Das sichtbarste Symbol dieser Verwandlung ist Anna Ziwiljowa – Putins Cousine und neue Königin des russischen Verwaltungsapparats. Laut ukrainischem Geheimdienst hat Putin den alten KGB-Zirkel weitgehend entmachtet. Zu reich, zu westlich, zu unzuverlässig. Zu gefährlich. Seine ehemaligen Mitstreiter – Patruschew, Schoigu, Iwanow – werden ersetzt durch Familie. Blut schlägt Erfahrung.

Ziwiljowa, Tochter von Putins Cousin Jewgeni, stieg kometenhaft auf: 2012 kaufte sie zusammen mit ihrem Mann, dem ehemaligen Offizier Sergei Ziwiljow, 70 % der Kohlefirma Kolmar – für 2,5 Milliarden Dollar. Herkunft der Mittel? Unbekannt. Laut Recherchen von Radio Swoboda kam das Geld über Gennadi Timtschenko – Putins alten Oligarchenfreund. Seitdem läuft das Paar wie ein synchrones Duo aus Macht und Geld.

Er wurde Gouverneur in Kemerowo, sie stieg zur Rüstungsmanagerin auf. 2024 bekam Sergei den Posten als Energieminister – verantwortlich für Öl, Gas und Kohle. Anna dagegen wurde Vize-Verteidigungsministerin, zuständig für Logistik im Krieg gegen die Ukraine. Sie kontrolliert Nachschub, Aufträge, Routen, Gelder – also genau den Bereich, in dem Korruption Staatsform ist. In Putins System ist das kein Risiko, sondern Absicht. Er hat sie zu seinen Augen im Militär gemacht – mitten im Dickicht aus Diebstahl und Loyalität.

Damit nicht genug: Auch der Rest des Clans ist eingebunden. Mikhail Putin – Cousin, Vizechef von Gazprom. Kontrolliert die Finanzen der Energieindustrie. Igor Putin – anderer Cousin, Ex-Banker, mehrfach in Geldwäsche verwickelt. Mikhail Schelomow – Neffe, hält Anteile an der „Bank Rossija“, der Kasse des Regimes. Katerina Tichonowa – jüngere Tochter, leitet den Technologiefonds „Innopraktika“, Tarnmantel für Drohnen- und KI-Entwicklung. Maria Woronzowa – ältere Tochter, Medizinerin mit Zugriff auf Milliardenbudgets für Genetik- und Bioprojekte. Kirill Dmitrijew – kein Blutsverwandter, aber verheiratet in den Kreis hinein. Chef des russischen Investitionsfonds, also der Familienbank.

Zusammen kontrollieren sie die fünf strategischen Achsen der Macht: Energie, Verteidigung, Finanzen, Hightech, Biomedizin. Die ganze Staatsmaschine läuft über denselben Stammbaum. Keine Institution bleibt unabhängig. Selbst die Förderfonds und Stiftungen sind verkappte Familienkassen. Russland ist keine Bürokratie mehr. Es ist eine Erbengemeinschaft.

Und wie immer bei solchen Konstruktionen gilt: Je größer die Angst, desto enger der Kreis. Für Putin ist Familie der letzte Schutzwall gegen Verrat. Anna Ziwiljowa taucht inzwischen bei fast jedem öffentlichen Auftritt auf – als stille Begleiterin, als Symbol der „Zuverlässigkeit“. Loyalität kann man nicht kaufen. Aber man kann sie gebären.

Das Muster ist alt. Gaddafi, Hussein, Čaușescu – alle versuchten, ihre Macht in Familienhand zu sichern. Alle endeten in Ruinen, Gräbern oder Exil. Das Assad-Regime, jahrzehntelang Symbol der erblichen Autokratie, ist 2024 endgültig kollabiert. Nach über fünfzig Jahren Familienherrschaft steht Syrien nun unter einer Übergangsregierung – ein Mahnmal dafür, wie jede Diktatur endet, wenn das Blut den Staat ersetzt. Denn sobald ein Regime familiär wird, verliert es jede Funktion außer Selbsterhaltung. Der Staat wird zur Erbschaft. Und der Krieg zur Absicherung dieser Erbschaft.

Putin ist längst nicht mehr Staatschef. Er ist Familienoberhaupt. Sein Kabinett ist der Familientisch, seine Ministerien sind Geschäftsbereiche, seine Kriege sind Investitionsschutz. Russland führt Krieg, um die Familie zu erhalten – nicht um Heimat, sondern um Herrschaft. Denn wenn alles zur Familie gehört, gehört niemand mehr zum Land.

Und genau darin liegt der Kern: Ein Staat, der auf Blut gebaut ist, kann keinen Frieden schließen. Frieden wäre Verrat an der Familie. Krieg ist das Geschäftsmodell. Die Gewinne laufen über Gazprom, die Verträge über das Verteidigungsministerium, die Sicherung über den Geheimdienst. Alles bleibt im Haus.

Doch Geschichte hat mit solchen Dynastien immer kurzen Prozess gemacht. Gaddafi fiel, als seine Söhne sich zerstritten. Hussein ließ seine Schwiegersöhne erschießen – und stürzte kurz danach. Čaușescu übertrug seiner Frau Macht – und stand mit ihr vor dem Erschießungskommando.

Putin wiederholt dasselbe Muster – nur mit mehr Kontrolle und weniger Realität. Er glaubt, die Familie sei Stabilität. In Wahrheit ist sie das Symptom des Verfalls. Denn wenn ein Land zur Verwandtschaft schrumpft, ist es keine Nation mehr. Nur noch Nachlassverwaltung mit Hymne.

Russland ist heute keine Föderation, keine Republik, keine Ideologie. Es ist eine Familien-AG – geführt von einem Mann, der glaubt, dass Blut Loyalität ersetzt. Doch Blut ist keine Garantie. Es ist nur dicker als Wasser – bis das Wasser kocht.

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— Trollhunter

Quellen und Einordnung:

Basierend auf Recherchen ukrainischer Geheimdienste und westlicher Investigativmedien zu den Familienverbindungen im Machtapparat des Kreml. Ergänzt durch Analysen von Radio Swoboda und Project zu Anna und Sergei Ziwiljow, öffentlich zugängliche Daten zu den Eigentumsstrukturen von Kolmar und Gazprom sowie Berichte internationaler Wirtschafts- und Sicherheitsdienste über die zunehmende Konzentration zentraler Posten in Putins Verwandtschaft. Die historische Vergleichsebene (Assad, Gaddafi, Hussein, Čaușescu) folgt bekannten Mustern spät-autoritärer Systeme, in denen politische Macht in familiäre Loyalität überführt wird.

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