1936, Hamburg. Werftarbeiter, Uniformierte, Parteikader. Aufmarsch zur Schiffstaufe. Hunderte recken den Arm zum Gruß. Nur einer nicht. Er steht still, verschränkt die Arme, schaut geradeaus. Kein „Heil“, kein Mitmachen, kein Ton. Dieses Foto wird Jahrzehnte später zur Ikone. Nicht, weil es etwas verändert hätte. Sondern weil es zeigt, wie tief ein Land sinken kann, bevor überhaupt einer stehen bleibt.
Heute, fast neunzig Jahre später, läuft die gleiche Mechanik. Nicht in Hamburg, sondern in Moskau. Nicht auf einer Werft, sondern auf dem Roten Platz. Und wieder: Masse. Gleichschritt. Zustimmung. Soldaten, die auf Leichen stolzieren. Kinder, die Granaten bemalen. Fernsehsätze, die direkt ins Gehirn schrauben. Und wieder funktioniert es. Die Gesellschaft ist nicht gebrochen worden – sie hat sich angeboten.
Der Unterschied? Deutschland wurde damals gestoppt. Von außen. Mit Gewalt. Mit Besatzung. Mit Zwang. Ohne totale Niederlage hätte es keine Aufarbeitung gegeben. Keine Schuld, kein Gedenken, keine Reue. Es brauchte Bomben auf Dresden, Alliierte in Berlin, Prozesse in Nürnberg. Nur deshalb konnte sich etwas ändern.
Russland wird diesen Moment nicht haben. Niemand wird in Moskau einmarschieren. Kein amerikanischer Jeep wird auf dem Roten Platz parken. Kein General Erlasse unterschreiben. Kein Tribunal wird Beweise sichten. Es wird keine Entwaffnung geben, keine Aufklärung, keine Kapitulation. Russland wird nicht gezwungen. Und deshalb wird es sich nicht verändern.
Wer heute noch glaubt, Russland könne zurückkehren – zur Vernunft, zur Realität, zur Welt – hat den Ernst der Lage nicht begriffen. Es gibt kein demokratisches Russland im Wartestand. Keine unterdrückte Zivilgesellschaft, die bloß auf ein Fenster wartet. Kein liberales Gegengewicht, das irgendwann übernimmt. Was es gibt, ist ein geschlossener Raum – aus Lüge, Angst, Gewalt und Mythos. Wer sich hineinlehnt, verschwindet.
Man hat es versucht. Mit Wandel durch Handel. Mit Gas. Mit Gipfeln. Mit Gesprächskanälen. Man hat Milde gezeigt, Nachsicht geübt, Brücken gebaut. Man hat gehofft, Russland ließe sich integrieren. Stattdessen wurde alles, was man angeboten hat, gegen einen selbst gerichtet. Energie. Abhängigkeit. Sprache. Naivität.
Diese Erfahrung ist nicht tragisch. Sie ist eine Erkenntnis. Und aus dieser Erkenntnis folgt kein moralischer Appell, sondern eine einzige strategische Konsequenz: Isolierung. Vollständig. Dauerhaft. Unumkehrbar.
Nicht, weil Russland so fremd ist. Sondern weil es sich selbst aus allem ausgeschlossen hat. Weil es keine Regeln akzeptiert, keine Wahrheit, keine Grenze. Weil es sich nur durch Eskalation erhält. Wer Russland ignoriert, wird überrannt. Wer es hofiert, wird erpresst. Wer es integrieren will, wird unterwandert.
Russland ist nicht auf dem Weg nach unten – es ist längst dort. Nicht militärisch, sondern zivilisatorisch. Es hat sich gegen jede Form von Verantwortung entschieden. Gegen Geschichte. Gegen Recht. Gegen Gedenken. Es kennt nur Kontrolle oder Chaos. Und es exportiert beides.
Deshalb ist der einzige Weg, mit Russland umzugehen: Abstand. Lückenlos. Dauerhaft. Nicht aus Wut, sondern aus Vernunft. Kein zweites Nürnberg. Keine Umerziehung. Kein moralischer Umweg. Nur Trennung. Weil alles andere scheitert.
Das Foto von damals hat überlebt, weil einer nicht gehorcht hat. Russland wird überleben, weil fast alle gehorchen. Und der Westen wird nur dann überleben, wenn er endlich erkennt: Der Abgrund lässt sich nicht integrieren. Nur meiden. Radikal. Klar. Konsequent.
Denn Russland ist nicht das Problem. Die Vorstellung, es könne sich bessern, ist das eigentliche Risiko.
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— Trollhunter