Frankreich schreibt kein Papier. Frankreich schlägt Alarm. Während Deutschland sich mit Ethikräten beruhigt und die EU weiter an gemeinsamen Formulierungen scheitert, erklärt Paris das Undenkbare zur Planungsgrundlage: Dass Russland wieder angreift. Und dass Europa allein sein wird. Nicht weil Amerika böse ist – sondern weil Amerika längst woanders hinschaut.
Macron verdoppelt das Militärbudget, schreibt eine strategische Neuordnung in den Kern der Fünften Republik und zieht die nukleare Linie neu. Aber nicht mit Europa. Sondern über Europa hinweg. Frankreich bietet Schutz – aber keinen Einfluss. Wer glaubt, das sei großzügig, hat nicht verstanden, was hier passiert.
Die neue Revue Nationale Stratégique 2025 ist keine Fortschreibung. Sie ist ein Bruch. Mit Illusionen. Mit dem Brüsseler Konsens. Mit der Vorstellung, man könne in einem Zeitalter der Raubtiere durch Regelwerk überleben. Frankreich verabschiedet sich von der alten europäischen Idee der Sicherheit durch Vernetzung. Und ersetzt sie durch das, was in Berlin noch als Schreckgespenst gilt: ein realpolitisches Machtinstrumentarium. Detailliert, geplant, hochgerüstet. Cyberabwehr, Künstliche Intelligenz gegen Desinformation, ökonomische Kriegsführung, rechtliche Gegenmanipulation, Drohnenabwehr.
Und das alles nicht als Ergänzung zur Diplomatie – sondern als Voraussetzung für das Überleben.
In Paris weiß man, dass nicht Putin das größte Risiko ist. Sondern das, was nach ihm kommt. Frankreich stellt sich nicht auf eine Invasion ein. Sondern auf den Kontrollverlust. Auf einen atomar zersplitterten Osten, in dem sich kaluginische Kleinfürsten mit Atomwaffen gegenseitig erpressen, während Privatarmeen Raffinerien besetzen.
Frankreich denkt nicht in Kriegen. Sondern in Zerfallsdynamiken. Und kommt zu einem simplen Schluss: Wenn Europa dann nicht stabilisiert, tut es niemand. Und wenn die NATO bis dahin noch diskutiert, steht Frankreich alleine in Kiew. Nicht weil es will. Sondern weil sonst niemand kommt.
Macron sagt das nicht laut. Aber wer zuhört, versteht es. Der Satz „Nous devons penser à notre indépendance stratégique“ ist keine geopolitische Floskel. Es ist die diplomatische Umschreibung für: Wir trauen Trump nicht. Und auch niemandem danach. Frankreich weiß, dass Amerika längst seine Prioritäten verschoben hat. Dass ein Angriff auf Europa keine automatische Luftbrücke mehr auslöst. Und dass in Charkiw heute schon gestorben wird, während Washington lieber über Taiwan spricht.
Deshalb bringt Paris jetzt die Bombe ins Spiel. Nicht als Waffe. Sondern als Warnung. Wer will, darf unter den Schirm. Aber die Hand bleibt an der Taste. Niemand in Berlin. Niemand in Warschau. Und erst recht niemand in Rom.
Die französische Strategie ist nicht nett. Sie ist nicht europäisch. Sie ist brutal, einsam, aber logisch. Macron weiß, dass Europa keine gemeinsame Armee haben wird. Also schafft er einen militärischen Dreiklang: Paris, Berlin, Warschau. Frankreich bringt das strategische Denken. Deutschland die Fabriken. Polen die Ernsthaftigkeit. Italien bekommt eine „besondere Rolle“ – im Klartext: Hafenlogistik, industrielle Zuarbeit und die Erinnerung, dass ein Partner ohne Verteidigungshaushalt keiner ist.
Und Rumänien? Wird im Dokument nicht mal erwähnt. Obwohl es die Black Sea Front der NATO trägt, amerikanische Systeme schützt und schneller aufrüstet als mancher westeuropäische Staat. Aber Rumänien ist zu osteuropäisch, zu eigenständig, zu nah an der Wirklichkeit. Und Frankreich will nicht teilen, was es zu führen beansprucht.
Die geplante Mobilisierung von zehn Millionen Jugendlichen zwischen 13 und 25 ist keine patriotische Spielerei. Es ist eine klare Ansage an die woke Linke und das Tiktok-Pazifistenvölkchen: Die Phase der Illusionen ist vorbei. Aber gleichzeitig weiß jeder in Paris, wie unrealistisch das klingt. Wie schwer es ist, eine Generation zu erziehen, die nie Krieg gerochen hat, nie an Grenzen gedacht hat, nie geopolitisch geschult wurde.
Frankreich will die Verteidigungskultur von Grund auf neu bauen. Und weiß, dass es dafür nicht nur Gesetze braucht, sondern Zeit, Geld und Nerven. Viel davon.
Doch was Paris wirklich antreibt, ist ein alter Schatten. Der Schock von 1940. Eine Armee auf dem Papier. Eine Führung ohne Mut. Ein Blitzkrieg, der das Staatsgefüge sprengt. Macron will diesen Moment nie wieder erleben. Und General Burkhard bringt es auf den Punkt: Gleichgültigkeit ist eine existenzielle Bedrohung.
Frankreich nimmt das wörtlich. Während Deutschland sich weiter in semantischer Außenpolitik übt und der EU-Verteidigungsfonds noch auf einheitliche Finanzierungsmodelle wartet, rüstet Paris auf. Nicht zum Angriff. Sondern für den Moment, an dem die EU nicht mehr abstimmt, sondern zusammenbricht.
Denn Macron plant nicht für Putin. Sondern für die Zeit danach. Wenn Russland nicht mehr Russland ist. Sondern eine atomar verseuchte Fläche voller Reaktionskräfte ohne Kommando. Und in diesem Szenario ist die Ukraine nicht nur Opfer oder Puffer. Sondern Garant europäischer Stabilität.
Frankreich hat das längst verstanden. Sagt es aber nicht. Noch nicht. Aber alles in diesem Papier schreit es heraus.
Der Westen wird sich entscheiden müssen: Will er Frankreich folgen – oder mit ansehen, wie der nächste Krieg nicht erklärt, sondern behauptet wird. Und diesmal nicht mehr in der Ukraine endet. Sondern an der slowakischen Grenze. Vielleicht auch an der eigenen.
Frankreich ist bereit. Nicht auf einen Krieg. Sondern auf den Moment, in dem alle anderen noch reden. Und keiner mehr kommt.
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— Trollhunter
Quellen und Einordnung:
Der Text basiert auf der Revue Nationale Stratégique 2025 (Frankreich), Reden von Emmanuel Macron, Einschätzungen von General Thierry Burkhard sowie Analysen aus Formiche, Le Monde, Les Echos und sicherheitspolitischen Fachquellen wie CSIS. Thema: Frankreichs strategische Vorbereitung auf einen möglichen Krieg in Europa – und die Leerstelle, die Amerika hinterlässt.