Wenn selbst Diktatoren keinen Bock mehr auf Russland haben

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Verfasst von Watchdog

Juli 12, 2025

Also wirklich, man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Aserbaidschan – ein autoritärer Staat, der seine eigenen Medien regelmäßig plattwalzt, wo Journalisten vor dem „Presserat“ zitiert werden wie Schüler zur Direktorin – stellt sich jetzt hin und erklärt Sputnik zur Tarnorganisation des FSB. Und zwar nicht in einem Nebensatz, sondern in einer offiziellen Erklärung, feinsäuberlich formuliert, auf international lesbarem Niveau. Das ist nicht nur ein Statement. Das ist eine Klatsche. Und zwar eine, die im Kreml bis ins Mark brennt.

Was ist passiert? Zwei führende Mitarbeiter von Sputnik Aserbaidschan – Kartawych und Belowusow – wurden verhaftet. Moskau jault sofort los: Angriff auf die Pressefreiheit, politisch motivierte Festnahmen, die übliche Nummer. Nur diesmal reagiert Baku nicht devot, sondern eiskalt: Das seien keine Journalisten gewesen, sondern Leute mit direkter Anbindung an die russischen Geheimdienste. Keine Kameras, keine Mikrofone, sondern Aufträge. Und zwar nicht von der Redaktion, sondern vom FSB.

Die Botschaft: Ihr habt geglaubt, ihr könnt hier eure Agenten als Journalisten durchwinken – wir haben euch durchschaut. Und diesmal fliegt der Schirm nicht mehr auf.

Der Hammer liegt aber nicht in der Verhaftung. Der Hammer ist die Begründung. Aserbaidschan nennt Ross und Reiter. Nennt Namen. Nennt Verbindungen. Nennt die Stationen eines gewissen Herrn Denisow, der früher Sputnik in Südossetien, Moldawien und eben auch in Aserbaidschan geleitet hat. Allesamt Regionen, in denen russische Einflussoperationen keine Theorie, sondern Alltag sind. Und der Typ war, Zitat, „Karriereoffizier russischer Spezialdienste mit Nähe zum GRU“. Klartext: Der Mann war kein Journalist, sondern ein mit Presseausweis getarnter Informationskrieger. Und genau dieser Typ hat Jahre lang im Namen von Sputnik Inhalte produziert. Oder besser gesagt: Desinformation orchestriert.

Und jetzt stellt man sich in Baku hin, lächelt und sagt: Übrigens, der Verband russischer Journalisten, der sich jetzt künstlich aufregt – vielleicht mal lieber zu Hause aufräumen. Dort, wo Journalisten wirklich ermordet, verhaftet und zerquetscht werden. Da, wo Politkowskaja, Scheremet, Schekotschichin längst auf dem Friedhof liegen – und zwar nicht, weil sie einen Verkehrsunfall hatten. Da, wo unabhängige Medien abgeschaltet, Telegram-Kanäle gesperrt und Redaktionen zertrümmert werden. Über 50 ermordete Journalistinnen und Journalisten seit 1992, mehr als zwei Dutzend Verhaftungen allein seit 2019. Aber wehe, einer eurer Agenten wird in Baku beim Schnüffeln erwischt – dann brennt auf einmal der Baum.

Und jetzt kommt das eigentlich Geniale: Dieses Statement kommt nicht aus Brüssel, nicht aus Washington, nicht von Reportern ohne Grenzen – sondern aus einem Land, das selbst nicht gerade für Meinungsfreiheit bekannt ist. Das macht es so effektiv.

Der Vorwurf lautet nicht: Russland verletzt westliche Werte.
Sondern: Russland mischt sich ein.

Russland benutzt Medien nicht zum Informieren, sondern zum Unterwandern. Und das sagen nicht Demokratien, sondern ehemalige Brüder im autoritären Geiste. Wenn sogar die plötzlich keine Lust mehr auf russische Spielchen haben, dann ist Game Over.

Moskau kann sich diese Schlappe nicht leisten. Denn wenn Aserbaidschan damit durchkommt – also wenn sich ein Staat traut, öffentlich russische Medien als Geheimdienstvehikel zu benennen, und damit auch noch Gehör findet – dann bricht das Kartenhaus. Dann fragen sich auch andere: Warum lassen wir eigentlich zu, dass Sputnik in unserer Hauptstadt sitzt und russische Narrative streut, als wäre das Journalismus? Dann wackelt das ganze russische Softpower-Gerüst – vom Russki Dom in Kirgisistan über die Presseclubs in Usbekistan bis zur Sprachförderung in Armenien. Wenn selbst Alijew sagt: „Genug mit dem Mist“, dann wissen auch andere: Die können das verlieren, die Russen. Sogar in ihrem eigenen Hinterhof.

Und mal ehrlich: Was bleibt dann noch? Russische Schulen, die keiner mehr will. Russische Statuen, die nur noch mit Farbe beworfen werden. Russische Kultur, die keiner mehr lädt. Und Propagandamedien, die nicht mal mehr als Tarnung funktionieren.

Wenn selbst autoritäre Regime keinen Bock mehr auf euren Einfluss haben, dann seid ihr nicht mehr imperial – dann seid ihr lästig.
Ein übergriffiger Verwandter, den man irgendwann einfach auslädt.

Für Russland ist das mehr als ein medialer Kratzer. Es ist ein operativer Verlust – mit politischen Kosten. Denn jeder Rubel, den der Kreml jetzt in Baku für Imagepflege, Einflussnahme und Reanimationsversuche verpulvern muss, fehlt an anderer Stelle. Fehlt in der Ukraine, wo Drohnen, Munition und Sold-Zahlungen drängen. Fehlt in Europa, wo rechte Netzwerke gefüttert, Narrative gestreut und Meinung gekapert werden sollen. Fehlt in den digitalen Echokammern, wo Sputnik, RT und Konsorten sonst ungestört ihre Nebelgranaten werfen.

Alles, was Russland jetzt in Baku zusammenflicken muss, kann es woanders nicht mehr zerlegen – nicht in Charkiw, nicht in Brüssel, nicht in den Talkshows, in denen man sich für Desinformation bedankt, wenn sie höflich formuliert ist.
Und genau das macht diesen kleinen Zwischenfall so gefährlich: Er zieht dem Kreml nicht nur Tarnung ab, sondern Energie. Und im hybriden Krieg ist beides tödlich.

Und noch etwas: Diese Geschichte ist ein PR-GAU. Weil es nicht mehr nur um Inhalte geht – sondern um die Maske. Wer ab jetzt Sputnik verteidigt, verteidigt nicht mehr alternative Perspektiven. Sondern Geheimdiensttarnung. Einflussoperation. Unterwanderung. Und das ist auch eine Botschaft nach Deutschland. An all jene, die russische Medien immer noch für ‚die andere Perspektive‘ halten – und dabei übersehen, wessen Mikro sie da eigentlich weiterreichen. Die Maske ist gefallen. Wer jetzt noch mitmacht, macht’s bewusst.

Russland hat nicht einfach einen Medienstützpunkt verloren.
Es hat seinen Trick verraten.

Und das ist der größte Verlust. Denn ein Werkzeug, das jeder durchschaut hat, ist keins mehr. Wenn selbst Aserbaidschan euch nicht mehr traut, ist der Mythos tot. Was bleibt, ist ein imperialer Anstrich auf einem leergefahrenen Tank.

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— Trollhunter

Quellen und Einordnung:

Der Artikel stützt sich auf eine offizielle Erklärung des aserbaidschanischen Presserats zum Fall „Sputnik Aserbaidschan“ sowie auf öffentlich zugängliche Informationen zu russischen Medienagenten in Moldawien, Südossetien und Aserbaidschan. Ergänzt durch internationale Recherchen – unter anderem von EUvsDisinfo, EDMO und dem Europarat – zur Rolle von Sputnik in hybriden Einflussoperationen.
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