Russland führt längst Krieg mit Dingen, die du likest. Tee. Schnee. Eine Influencerin mit Dutt, die in Sankt Petersburg spazieren geht und sagt, dass sie sich „hier endlich frei“ fühlt. Kein Blut, keine Rakete, kein Putin. Nur ein Reel. Das lächelt. Und wirkt.
Willkommen im neuen Krieg: Er hat kein Gesicht – aber Millionen Follower.
Der Kreml braucht keine Sprecher mehr. Er hat Sasha, Lorenzo, Carlos und Romina. Menschen, die nichts sagen – und trotzdem alles vermitteln. Die nicht erklären – sondern einfach fühlen. Und deren Gefühl lautet: Russland ist nett, Russland ist schön, Russland ist „auch nur ein Mensch“.
Was aussieht wie ein Selfie ist in Wahrheit ein Staatsauftrag. Hinter Sasha Meets Russia steht ein milliardenschweres PR-Netzwerk mit Sitz im Kreml, gesteuert von einem Kulturfonds, der vorgibt, Teezeremonien zu finanzieren – und in Wahrheit Narrative exportiert. Unter dem Hashtag #travelrussia, bezahlt vom russischen Präsidentenfonds für „kulturelle Initiativen“. Klingt niedlich. Ist Kriegsführung.
Chef der Operation: Maria Dudko, 30, Juristin, Duma-Vergangenheit, heute Frontfrau eines staatlichen Influencer-Agentenrings mit dem Namen „Безмежные“ – grenzenlos. Und genauso operieren sie: über YouTube, TikTok, Instagram, Telegram. Mit Reisefiltern, Soundeffekten und dem Satz: „In Moskau fühle ich mich endlich verstanden.“
Das ist keine Dystopie. Das ist Echtzeit.
Ihre Zielgruppe bist du. Nicht politisch. Nicht organisiert. Nur offen für Content, der sich gut anfühlt. Denn das ist der Trick: Es ist keine Propaganda mit Phrasen – es ist eine mit Gefühl. Eine, die sich in deinen Feed legt und dein Bild von der Welt langsam zurechtrückt. Nicht durch Lüge – sondern durch hübsch geschnittene Halbwahrheit. Algorithmen lieben das. Und Deutschland scrollt.
Die EU sperrt Russia Today – TikTok zeigt Sasha. Und Sasha sagt nicht, dass der Krieg gut ist. Sie sagt: Es gibt ihn nicht. Sie zeigt Straßen, Cafés, Menschen. Und suggeriert: Russland ist einfach ein normales Land. Vielleicht sogar besser. Auf jeden Fall: nicht schuld.
Und genau da beginnt die Zersetzung.
Diese Videos sind kein Irrtum. Sie sind System. Entwickelt, geplant, kuratiert, verpackt – für dich. Für westliche Zielgruppen, die längst keine Lust mehr auf harte Debatten haben. Die lieber Reisekanal schauen als Nachrichten. Und nicht merken, dass sie damit Teil einer Kampagne werden, die Europas Urteilskraft systematisch untergräbt.
Russlands neue Propaganda will nicht überzeugen. Sie will Zweifel säen. In deine Realität. In deine Urteilsfähigkeit. In dein politisches Immunsystem. Und es funktioniert, weil sie nicht wie Propaganda aussieht – sondern wie Freiheit.
Denn wenn dir jemand lächelnd sagt, dass er sich in Moskau endlich sicher fühlt – willst du wirklich widersprechen?
Die EU hat darauf keine Antwort. Wie auch? Niemand kann einem Influencer verbieten zu sagen, dass er Moskau liebt. Kein Gesetz kann TikTok zwingen, Inhalte zu drosseln, die sich als „persönliche Erfahrung“ tarnen. Kein Plattformfilter erkennt, dass das Lächeln bezahlt ist. Es bleibt sichtbar. Und unwidersprochen.
So normalisiert man Gewalt: durch Tee, Schnee und Reichweite.
Und genau deshalb ist dieser Krieg so gefährlich. Weil er mit deinem Mitgefühl rechnet. Weil er deinen Wunsch nach Frieden gegen dich verwendet. Weil er das Böse so inszeniert, dass du gar nicht merkst, wie du es langsam okay findest. Nicht, weil du überzeugt wurdest – sondern weil du langsam abstumpfst.
Russland hat gelernt, wie man böse ist, ohne böse zu wirken. Europa hat noch nicht mal angefangen, das zu begreifen.
Denn diese Inhalte sind nicht trotz unserer Naivität erfolgreich – sondern wegen ihr. Weil wir glauben, was harmlos wirkt, könne keine Wirkung haben. Weil wir glauben, Propaganda müsse lügen. Und weil wir es gemütlicher finden, Russland für ein Missverständnis zu halten – als für das, was es ist: ein Kriegsstaat mit einem Softpower-Lächeln.
Es braucht keine Panzer, um Europa zu infiltrieren. Es reicht ein gut gelaunter Vlog. Zwei Minuten Musik, drei Kamerafahrten, eine emotionale Botschaft: „Russland ist einfach anders – und der Westen versteht es nicht.“ Damit beginnt die Desinformation. Damit endet Klarheit.
Wer heute noch sagt, das sei doch nur Meinung, sollte sich fragen, wie oft er diesen Satz schon gehört hat – und von wem.
Willkommen im neuen Propagandakrieg. Ohne Hymne. Ohne Marschmusik. Nur mit einem Filter, der dich glauben lässt, alles sei gut. Und einer Plattform, die es dir zeigt. Immer wieder. Bis du es nicht mehr hinterfragst. Bis Russland einfach dazugehört. Bis du dich fragst, ob man es wirklich so hart beurteilen sollte.
Dann hat der Kreml gewonnen.
Und du hast es nicht mal gemerkt.
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— Trollhunter
Quellen und Einordnung:
Gemeinsame Recherche von Tua Research und United24 Media über russische Softpower-Strukturen und den Präsidentenfonds für kulturelle Initiativen (PFKI).
Ergänzt durch öffentlich zugängliche Informationen zu Maria Dudko, dem Agenturnetzwerk „Безмежные“ („Ohne Grenzen“) und einzelnen beteiligten Influencern wie Sasha Meets Russia und Lorenzo Bagnati.
Hintergrund: Nutzung westlicher Social-Media-Plattformen für algorithmische Einflussnahme und kulturelle Propaganda.
					



