Zehn Milliarden Euro. So viel kostet ein EU-Staat, wenn man nicht nur die Regierung, sondern gleich die Stromversorgung kauft. Zwei neue Reaktoren für das Atomkraftwerk Paks, bezahlt vom Kreml, gebaut von Rosatom, abgesichert durch russisches Recht, betrieben mit russischem Uran – und durchgewunken von Brüssel. Und jetzt auch von Washington.
Denn im Juni 2025 hat das US-Finanzministerium eine Sonderlizenz ausgestellt, die es ermöglicht, russisch finanzierte Nuklearprojekte weiterzuführen – auch wenn sie eigentlich unter Sanktionen stehen. Die Ausnahme gilt bis Ende des Jahres. Das betrifft direkt Paks II. Der Zahlungsweg ist frei. Die Abhängigkeit bleibt. Und Orbán bedankt sich artig. Bei Trump. Bei Putin. Bei Brüssel.
Was hier entsteht, ist kein Kraftwerk. Es ist ein geostrategisches Leck in der europäischen Außenpolitik. Die Technik russisch, der Brennstoff russisch, die Wartung russisch, die Entsorgung russisch, die Finanzierung russisch. 80 Prozent der Kosten trägt Moskau über einen langjährigen Staatskredit. Die Rückzahlung läuft über Jahrzehnte. Wer Paks II kontrolliert, kontrolliert Ungarns Energie – und einen Teil der europäischen Sicherheit.
Und das alles mit Genehmigung der EU-Kommission. Schon 2017 hatte Brüssel der staatlichen Beihilfe für das Projekt zugestimmt. Österreich klagte. Der Europäische Gerichtshof wies die Klage 2022 ab. Im Februar 2025 sprach sich der Generalanwalt dann doch für Wien aus. Thema: Direktvergabe an russische Auftragnehmer. Das Urteil steht noch aus. Die Reaktoren werden trotzdem gebaut.
Paks liefert derzeit rund die Hälfte der ungarischen Stromproduktion. Nicht des Gesamtenergiebedarfs – aber genug, um das Land verwundbar zu machen.
Die bestehenden Reaktoren stammen aus sowjetischer Produktion. Sie laufen ausschließlich mit russischen Brennstäben. Alternative Anbieter gibt es – theoretisch. Westinghouse liefert bereits an Tschechien und die Slowakei. Ungarn hinkt hinterher. Erst ab 2027 sollen erste nicht-russische Lieferungen möglich sein. Bis dahin bleibt alles wie es ist. Moskau liefert. Budapest nickt.
Der neue Ausbau – Paks II – wird zusätzlich mit zwei Reaktoren des Typs VVER-1200 realisiert. Hochmoderne Technologie, komplett russisch. Der Deal: 80 Prozent auf russische Rechnung, 20 Prozent ungarischer Eigenanteil. Und kein einziger Schritt ohne Kreml-Genehmigung.
In Orbáns Ungarn ist Politik immer auch privates Einkommen. Lőrinc Mészáros, sein Jugendfreund und Ex-Bürgermeister von Felcsút, hat sich in den letzten Jahren an staatlichen Aufträgen zur Spitze der ungarischen Milliardäre hochgearbeitet. Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz wurde durch das EU-finanzierte Elios-Korruptionskarussell bekannt – OLAF sprach von „schweren Unregelmäßigkeiten“. Heute kassiert er weiter bei Großprojekten mit.
Ob Strom, Bau oder Infrastruktur: Die Aufträge verschwinden nicht auf dem freien Markt, sie landen im Familiennetzwerk. Atomkraft ist in Ungarn keine Energiepolitik. Es ist ein Clangeschäft.
Die Energieversorgung ist nur die Verpackung. Die Struktur dahinter ist russisch bis ins Mark. 86 Prozent des importierten Öls stammen aus Russland – über die Druschba-Pipeline, abgesichert durch eine EU-Ausnahmeregelung. Die ungarische Raffinerie MOL verarbeitet fast ausschließlich russisches Urals-Rohöl. Umbauten für andere Sorten wären teuer. Also bleibt alles beim Alten. Der russische Treibstoff fließt. Die Regierung blockiert jede Verschärfung der Sanktionen.
MOL dominiert den Markt. Raffinerien, Tankstellen, Logistik – die gesamte ungarische Treibstoffversorgung hängt an einem Konzern. Und der Konzern hängt am Kreml. Politisch nennt man das „strategische Partnerschaft“. Wirtschaftlich ist es ein Monopol auf Abhängigkeit.
Und dann war da noch die russische Investitionsbank in Budapest – die IIB. 2023 von den USA sanktioniert, wegen Spionage und Sanktionsumgehung. Orbán hielt sie lange im Land, trotz Warnungen der NATO. Erst unter massivem Druck zog die Bank ab. Da hatte sie längst getan, wofür sie gekommen war.
Und die Bevölkerung? Laut GLOBSEC ist Ungarn das EU-Land mit der höchsten russlandfreundlichen Grundhaltung. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung sieht Moskau nicht als Hauptaggressor im Ukrainekrieg. Kein Wunder. Wenn das Gas warm, das Benzin billig und das Fernsehen regierungstreu ist, wird die Wahrheit zum Störfaktor.
Die EU schweigt. Wien klagt. Kiew protestiert. Und Orbán baut weiter. Mit russischem Geld. Mit russischem Material. Mit russischem Einfluss. Und mit vollem Zugang zu EU-Gremien, Vetorechten, Entscheidungsbefugnissen.
Während Brüssel über die strategische Autonomie Europas debattiert, steckt in Ungarn der Feind längst drin. Verfassungsrechtlich integriert. Wirtschaftlich gesichert. Politisch fest verankert.
Ungarn ist kein Sonderfall. Es ist das Lehrbuch. Wie man Demokratien von innen knackt, ohne einen Schuss abzugeben. Orbán blockiert. Orbán kassiert. Orbán sitzt mit am Tisch. Und Putin schreibt die Agenda.
Ungarn ist nicht neutral. Nicht unabhängig. Nicht europäisch. Es ist gekauft – Atom für Atom, Pipeline für Pipeline, Gesetz für Gesetz.
Orbán liefert die Stimme. Putin das Uran. Brüssel die Rechtfertigung.
Was bleibt, ist ein Mitgliedstaat, der funktioniert wie ein russischer Außenposten – mit Vetorecht im Ministerrat und Immunität durch Mitgliedschaft.
Ungarn ist das neue Belarus. Nur mit EU-Stimmrecht.
Willkommen im Reaktor.
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— Trollhunter
Quellen und Einordnung:
Die Angaben im Text basieren auf öffentlich zugänglichen Informationen, darunter Stellungnahmen der EU-Kommission (2017, 2023), Gerichtsdokumente zum Verfahren Österreich gegen Paks II, die Sonderlizenz des US-Finanzministeriums (OFAC General License No. 115B, Juni 2025), technische Daten zur Reaktortechnik (VVER-1200 / TVEL), Presseberichte über Ungarns Öl- und Gasimporte (Druschba / TurkStream), Aussagen zu Orbáns Umfeld (Mészáros, Tiborcz) sowie Erhebungen von GLOBSEC zur Russlandwahrnehmung in der EU.