Putins Nebensitz im EU-Parlament: Wie Budapest den Krieg legitimiert

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Verfasst von Watchdog

Oktober 1, 2025

Ungarn hat sich entschieden. Nicht für Europa, nicht für Neutralität, nicht für Vermittlung. Sondern für den Kreml. Levente Magyar, stellvertretender Außenminister, hat es in Paris ausgesprochen: Die Ukraine solle ein Fünftel ihres Landes aufgeben – für den Frieden. So wie Ungarn einst zwei Drittel verlor. Schmerzhaft, aber notwendig. Das ist nicht nur zynisch, das ist eine Handreichung an den Angreifer. Und eine offene Absage an jedes Völkerrecht, das mehr will als Grenzverschiebung im Tausch gegen Ruhe.

Was Magyar da gesagt hat, war kein Ausrutscher. Es war ein Skript. In Szene gesetzt in einer europäischen Hauptstadt, im Namen einer europäischen Regierung – mit der klaren Botschaft: Frieden gibt es nur, wenn Kiew nachgibt. Nicht, wenn Moskau aufhört. Der Überfall wird als Schicksal verkauft, die Verteidigung als Starrsinn. Die Täter-Opfer-Umkehr ist perfekt formuliert – auf diplomatischem Briefpapier, mit historischem Siegel.

Magyar meint Trianon. 1920 verlor Ungarn zwei Drittel seines Gebiets. Eine historische Wunde, die Orbáns Leute bis heute pflegen wie ein Kult. Und genau diese Wunde nutzt Magyar, um den Ukrainern zu erklären, was sie gefälligst zu akzeptieren hätten. Geschichtsverfälschung im Dienst der Kapitulation. Es geht nicht um Aufarbeitung – es geht um Einrahmung. Damit die Annexion ukrainischer Gebiete wie eine unausweichliche Konsequenz aussieht – statt wie das, was sie ist: ein kolonialer Landraub mit Gewalt.

Der Mann weiß, was er tut. Seit 2014 ist er Teil der außenpolitischen Schaltzentrale in Budapest. Heute ist er zuständig für Außenhandel – und damit auch für Paksh-2, das russisch-ungarische Atomprojekt. Gebaut von Rosatom. Politisch abgesichert vom Kreml. Magyar ist der Verbindungsmann. Er empfängt russische Delegationen, verhandelt Energieverträge, gibt Moskau die Bühne, die es braucht. Und das mitten in der EU.

Doch seine Rolle geht weit über Atomstrom hinaus. Magyar ist einer der zentralen Stimmen, die seit Jahren russische Narrative in westlicher Verpackung präsentieren. Die Ukraine sei militärisch erschöpft. Der Westen solle nicht auf Sieg, sondern auf Verhandlungen setzen. Russland habe den längeren Atem. Sanktionen schaden Europa mehr als Moskau. Frieden sei wichtiger als Territorium.

Alles schon gehört – aus Moskau. Jetzt eben auch aus Budapest.

Die ungarischen Staatsmedien greifen das dankbar auf. Russische auch. Denn Magyar spricht aus, was sich viele in Europa nicht trauen zu denken. Und er tut es im Ton des Pragmatikers. Nicht als Fanatiker, sondern als Realist. Genau das macht es so gefährlich. Der Vorschlag, dass die Ukraine Gebiete abtritt, wird nicht mehr als Tabubruch formuliert – sondern als nüchterne Option. Als „Lektion der Geschichte“. Als Kompromiss, den vernünftige Menschen eben machen. Das ist keine Argumentation – das ist schleichende Normalisierung der Niederlage.

Magyar ist kein Einzelfall. Er ist Teil einer Struktur. Viktor Orbán gibt die Linie vor. Péter Szijjártó, der Außenminister, setzt sie international um. Regelmäßige Treffen mit Lawrow inklusive. Blockaden im EU-Rat, gezielte Störaktionen, offene Erpressung bei Abstimmungen.

Und dann ist da noch der mediale Flankenschutz: Politiker wie Judit Varga oder Alexandra Szanktirályi, die die gleichen Narrative ins Inland schleusen – nur in weichgespülter Form. Frieden jetzt. Waffen nein. Ukraine überfordert. Russland überlegen.

Das ist keine Debatte mehr. Das ist eine orchestrierte Operation.

Und auch im Privaten bleibt es in der Familie: Magyars Ehefrau war jahrelang Protokollchefin von Robert Fico – dem kremlnahen Premier der Slowakei, der Oppositionelle attackiert und die Pressefreiheit zerschlägt. Auch das ist kein Zufall. Es ist ein Netzwerk, das längst nicht mehr unterhalb des Radars agiert. Es sendet – laut, deutlich, stolz.

Ungarn wirkt heute wie ein Nebensitz des Kremls im Europäischen Rat. Kein Brückenbauer, kein Ausgleichsfaktor – sondern eine strategische Lautsprecherbox russischer Interessen. Offiziell maskiert als nationale Souveränität, in Wirklichkeit aber der Hebel Moskaus gegen die Geschlossenheit Europas.

Während Kiew blutet, verlangt Budapest Verzicht. Während Russland neue Offensiven plant, doziert Magyar über historische Parallelen. Und während die baltischen Staaten sich vorbereiten, spielt Ungarn Schiedsrichter – in einem Spiel, dessen Regeln der Kreml schreibt.

Das ist kein diplomatischer Stil. Das ist eine Desinformationsstrategie mit EU-Siegel. Budapest fordert nicht den Frieden – es bereitet ihn vor, im russischen Sinne. Mit Worten, die wie Waffen wirken: Sie sollen entwaffnen, nicht überzeugen. Und das Ziel ist klar – nicht die Beendigung des Krieges, sondern die Beendigung des ukrainischen Widerstands.

Wer sich heute auf Magyars Linie einlässt, übernimmt das Framing des Feindes. Wer in der EU schweigt, wenn ein Mitgliedsstaat offen zur Aufgabe ukrainischer Gebiete aufruft, überlässt das Narrativ den Falschen. Und wer diesen Kurs als Realpolitik versteht, hat schon verloren – im Kopf, im Kompass, im Kern.

Wer das durchgehen lässt, gibt nicht nur der Ukraine auf. Sondern sich selbst.

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— Trollhunter

Quellen und Einordnung:

Aussagen von Levente Magyar laut ungarischem Nachrichtenportal Telex (Rede an Sciences Po, Paris).
Hintergrund zu Trianon, Paksh-2 und Magyars Rolle im Außenministerium basieren auf öffentlich zugänglichen Regierungs- und Medienquellen aus Ungarn und Russland.
Bezüge zur slowakischen Politik (Fico) und russlandnahen Positionen ergeben sich aus dokumentierten personellen Verbindungen.
Narrative wie „Verhandlungen statt Waffen“ oder „Gebietsverzicht als Frieden“ finden sich regelmäßig in ungarischen Regierungsstatements und staatlichen Medien.

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