Drohnen und Dunkelheit: Wie Russland sich selbst lahmlegt, um den Krieg zu überleben

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Verfasst von Watchdog

August 15, 2025

Willkommen im digitalen Mittelalter. Russland kämpft nicht nur an der Front – Russland kämpft gegen die eigenen Router. Weil es gegen ukrainische Drohnen keine Antwort hat, zieht der Kreml kurzerhand den Stecker. Kein Scherz. In Dutzenden Regionen wird der mobile Datenverkehr komplett abgeschaltet – manchmal stundenlang, manchmal tagelang. Begründung: Drohnenabwehr. Ergebnis: digitales Koma.

Messenger, Navigation, Online-Banking, Karten-Apps, Zahlungen – alles tot. Nur Telefonieren geht noch. Und selbst das nicht überall. Die Bevölkerung lebt in einem Zustand, den man früher „Störung“ nannte, heute aber Alltag ist. Russland 2025 ist nicht einfach nur offline – es ist digital zersägt, zensiert und zugedeckt.

Was hier passiert, ist kein technischer Defekt. Es ist Strategie. Laut New York Times gab es allein im Mai 69 registrierte Netzausfälle. Im Juni? 655. Kein Tippfehler. Sechshundertfünfundfünfzig gezielte Abschaltungen. Mehr als weltweit im gesamten Vorjahr. Im Juli war über 85 % des russischen Territoriums mindestens einmal betroffen. Und das alles, weil Putins Armee nicht in der Lage ist, gegen 3D-gedruckte Drohnen aus ukrainischen Garagen vorzugehen.

Die Idee dahinter ist so brutal wie dumm: Weil ukrainische Drohnen sich stellenweise über das russische Mobilfunknetz navigieren oder steuern lassen, zieht der Kreml kurzerhand den Stecker. Nicht nur für die Drohne – sondern für alle.

Die Oma mit Online-Rezept, der Pendler mit Google Maps, der Soldat mit Notruf-App: alle raus. In Ischewsk hat so ein Blackout direkt drei Menschen das Leben gekostet – weil just in dem Moment eine Drohne eine Raketenschmiede getroffen hat. Keine Warnung, kein Alarm, keine Chance.

Der Krieg ist asymmetrisch – und die Antwort des Kremls ist: asymmetrische Selbstverstümmelung.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die Netzabschaltungen haben zwei Ziele: einerseits die Verteidigung gegen Drohnen. Andererseits – und das ist entscheidend – sind sie ein Testlauf für totale digitale Kontrolle. Unter dem Vorwand der „nationalen Sicherheit“ entsteht in Russland gerade ein zentrales Ausschaltzentrum für die Zivilgesellschaft. Ein nationaler Kill Switch, der nicht nur die Daten abschaltet, sondern auch das Denken. Keine Kommunikation heißt keine Koordination. Keine Koordination heißt kein Widerstand.

Russlands Bevölkerung reagiert – wie so oft – mit Sarkasmus. Stromausfall-Memes, satirische Lieder über Netzausfälle, virale Clips über das Leben im digitalen Dunkeln: Der Spott ist allgegenwärtig. Aber das System lernt. Der Kreml weiß jetzt: Wenn man Netzabschaltungen als Verteidigung tarnt, muckt kaum jemand auf. Also wird zentralisiert. Bald entscheidet nicht mehr das lokale Militär über Abschaltungen, sondern ein zentrales Regierungsorgan. Willkommen in der Zukunft: regional gesteuerte Dunkelheit – mit Genehmigung aus Moskau.

Was die Drohnen dabei leisten, geht weit über Raketen hinaus. Sie terrorisieren psychologisch. Ihre bloße Anwesenheit reicht, um Soldaten stundenlang in Bunkern festzuhalten. Ihre Geräusche lähmen ganze Viertel. Ihre Sicht sorgt für Angst, Stress, Paranoia. Ein Drohnensignal kann eine Frontlinie blockieren, ohne einen einzigen Schuss. Das ist kognitive Kriegsführung in Reinform: Die Russen machen sich selbst bewegungsunfähig – aus Angst vor einem surrenden Schatten.

Und genau darin liegt der Kern: Der Krieg hat längst den Himmel verlassen. Er spielt sich im Kopf ab – und im Netz. Russland steht vor einem Dilemma, das keine Propaganda lösen kann. Denn je mehr es sich abschaltet, desto weniger Kontrolle behält es. Je mehr es überwacht, desto weniger glaubt ihm die Bevölkerung. Und je mehr es auf die eigenen Infrastrukturen schießt – desto lauter wird das Knacken im System.

Drohnen greifen nicht nur Fabriken an. Sie greifen Gewissheiten an. Sie zwingen eine Supermacht dazu, ihr eigenes Land zu lähmen, um sich sicher zu fühlen. Und das, obwohl die wirklich schweren Raketen noch gar nicht fliegen. Wenn die Ukraine eines Tages wirklich mit voller Kraft zurückschlägt, wird das Licht nicht nur auf den Straßen ausgehen. Dann wird in Russland das letzte Signal verstummen – und keiner wird mehr posten können, wie still es geworden ist.

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— Trollhunter

Quellen und Einordnung:

Die Angaben im Artikel basieren auf übereinstimmenden Berichten von New York Times (23.07.2025) und Formiche.net über flächendeckende mobile Netzausfälle in Russland zur Drohnenabwehr. Laut NYT gab es im Juni 2025 über 650 dokumentierte Fälle – deutlich mehr als im gesamten Vorjahr weltweit.
Weitere technische Details zur Drohnennutzung stammen aus westlichen Militäranalysen (u. a. RUSI, CSIS) und öffentlich bekannten Informationen zu FPV-Drohnen mit Mobilfunkmodulen.
Die Angabe zum Angriff auf das Raketenzentrum in Ischewsk bezieht sich auf regionale russische Medienberichte vom Juli 2025. Die psychologischen Effekte der Drohnen sind durch Erfahrungsberichte russischer Soldaten sowie westliche Studien zur kognitiven Kriegsführung belegt.

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