Der Kreml sitzt längst am Tisch – und Orbán deckt auf

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Verfasst von Watchdog

Juni 18, 2025

Ein russischer Propagandist mit besten Kontakten zur ungarischen Regierung, mit eigener Fernsehshow, mit Selfies von Mittagessen mit dem Außenminister – mitten in der NATO. Und niemand schreitet ein. Was wie ein Satireplot klingt, ist in Wirklichkeit der Alltag in Orbáns Ungarn.

Der Mann heißt Georg Spöttle. Und er ist nicht irgendein Experte. Er ist der Resonanzraum des Kremls – durchgewinkt, hofiert, öffentlich.

Spöttle ist seit Jahren Teil der ungarischen Medienlandschaft. Er tritt in Staatsfernsehen auf, schreibt Kolumnen für regierungsnahe Medien wie Origo oder Magyar Nemzet, bekommt Sendezeit bei Pesti Srácok und taucht regelmäßig auf Veranstaltungen der Regierungspartei Fidesz auf.

Was kaum jemand weiß: Spöttle steht seit Jahren in engem Kontakt mit einem russischen Militärattaché namens Oleg Smirnow – einem Offizier des russischen Militärgeheimdienstes GRU.

Spöttle reist auf Einladung des russischen Verteidigungsministeriums nach Moskau, bekommt Zugang zu Veranstaltungen, für die eine Genehmigung russischer Sicherheitsdienste notwendig ist, veröffentlicht anschließend Berichte im ungarischen Fernsehen – und übernimmt dabei Wort für Wort das Vokabular russischer Briefings.

Und keiner in Budapest findet das problematisch.

Erst eine Sicherheitsüberprüfung bringt den Fall ans Licht – allerdings nicht bei Spöttle selbst, sondern bei einem Bewerber für die ungarische Diplomatenlaufbahn, der mit Spöttle eng befreundet ist. Zu eng, fanden die Sicherheitsdienste. Denn Spöttle hatte aktiv versucht, seinen Bekannten mithilfe eigener Kontakte ins Außenministerium zu bringen – während er gleichzeitig mit einem russischen Militäragenten korrespondiert und öffentlich als Sprachrohr des Kremls agiert.

Die Bewerbung wird abgelehnt. Und Spöttle, zutiefst beleidigt, versucht politisch zu intervenieren. Vergeblich.

Was dann geschieht, ist keine Verschwörung – sondern schlicht die Reproduktion eines Systems.

Spöttle zieht sich kurz zurück, kündigt an, aus der Öffentlichkeit zu verschwinden, taucht nach wenigen Wochen wieder auf – mit neuem Format, neuen Beiträgen, neuen Lügen.

In seiner Sendung GEOrgPOLITIKA kommentiert er den Ukrainekrieg aus eindeutig prorussischer Perspektive. Er interviewt Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums. Er warnt vor der Waffenfabrik von Rheinmetall in der Westukraine – weil sie angeblich eine Bedrohung für Ungarn darstelle. Dabei ist Rheinmetall strategischer Partner der ungarischen Regierung.

Spöttle widerspricht also nicht nur westlicher Sicherheitspolitik, sondern auch den offiziellen Interessen seines eigenen Landes. Das stört aber niemanden – im Gegenteil: Außenminister Péter Szijjártó lobt ihn öffentlich. „Ich höre ihn beim Joggen. Sehr empfehlenswert.“

Die Situation ist nicht absurd. Sie ist gefährlich.

Russland hat einen Akteur in den ungarischen Machtapparat eingeschleust, der mit Dokumentation, medialer Legitimität und politischem Zugang agieren kann. Kein Maulwurf. Kein Agent mit Kamera im Knopfloch. Sondern ein respektierter Kommentator, der die russische Sichtweise in eine Form gießt, die für ein konservatives ungarisches Publikum anschlussfähig ist.

Und genau das ist der Punkt.

Spöttle stiehlt keine Geheimnisse – er prägt Meinungen. Er infiziert die öffentliche Debatte mit den Begriffen des Kremls. Und was zunächst wie Randmeinung aussieht, wird irgendwann politische Realität.

Bestes Beispiel: Im Herbst 2024 warnt Spöttle, dass der EU-Beitritt der Ukraine zu einer „Invasion ukrainischer Mafiagruppen“ führen werde. Drogen, Menschenhandel, Prostitution.

Wochen später übernimmt die Regierung exakt diese Rhetorik. Erst kommt das Narrativ vom Propagandisten. Dann der Beschluss vom Ministerium. Spöttle liefert, Orbán unterschreibt.

Das ist keine Panne. Das ist Methode.

Russland braucht keine Kommandos mehr. Es reicht, die richtigen Leute in die richtigen Medien zu bringen – und abzuwarten, bis die Narrative zirkulieren.

Spöttle ist ein Lehrbuchbeispiel für Putins neue Kriegsführung: semantische Destabilierung. Kein Agent im klassischen Sinn, sondern ein Überzeugungstäter mit Mandat, Mikrofon und Ministerzugang.

Ein Mann, der auf Telegram das Massaker von Butscha anzweifelt, der von Biowaffenlabors der USA in der Ukraine spricht, der westliche Militärhilfe als Terrorfinanzierung darstellt – und gleichzeitig auf Empfängen der Regierung posiert.

Das alles ist öffentlich dokumentiert. Und trotzdem bleibt er im Spiel.

Noch einmal zur Erinnerung: Ungarn ist NATO-Mitglied. Ungarn sitzt mit am Tisch, wenn über Waffenhilfe für die Ukraine oder Sanktionen gegen Russland entschieden wird. Und in genau diesem Land produziert ein kremlnaher Akteur wöchentlich Inhalte, die nicht nur Putins Positionen verbreiten, sondern mit der Zeit die Politik eines EU-Staates mitformen.

Das ist keine Meinungsfreiheit. Das ist semantische Kriegsführung mit innenpolitischer Wirkung.

Und Brüssel schaut zu.

Der Westen sollte sich nicht einreden, das sei ein ungarisches Problem. Das ist ein strukturelles Leck im Sicherheitsnetz Europas.

Russland hat es geschafft, über Jahre hinweg einen Einflusskanal in eine demokratische Regierung zu etablieren – ohne verdeckte Operation, ohne Pässe mit falschem Namen. Sondern über Medien, Rhetorik, Kontakte. Was Spöttle sagt, taucht in russischen Staatsmedien als westliche Expertenmeinung auf. Und was er sagt, wird in Budapest mit Beifall aufgenommen.

Wer jetzt noch glaubt, Ungarn sei nur ein Störenfried in der EU, der hat nicht verstanden, was hier passiert.

Orbáns Regierung ist kein Opfer russischer Propaganda. Sie ist Teil ihrer Verbreitung. Und Georg Spöttle ist ihr zuverlässiger Dienstleister. Inklusive Zugang zum Außenminister. Inklusive Medienmacht. Inklusive Immunität.

Der Kreml braucht keine Panzer mehr. Er hat Mikrofone.

Und sie stehen längst auf europäischem Boden.

Quellen und Einordnung:

Der Artikel basiert auf den Recherchen des ungarischen Investigativportals
Direkt36 in Zusammenarbeit mit der Redaktion von Telex.hu (Juni 2025).
Grundlage sind interne Regierungsdokumente, E-Mail-Verläufe,
persönliche Zeugenaussagen aus dem Umfeld von Georg Spöttle sowie
Foto- und Videoauswertungen. Alle im Artikel geschilderten Vorgänge sind
öffentlich dokumentiert, journalistisch geprüft und in Teilen
sicherheitsbehördlich bestätigt.

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