Russland bereitet den nächsten Krieg vor – nicht mit einem Marschbefehl, sondern mit einer Geschichte. Mit Bildern. Mit Fälschungen. Und mit einer alten imperialen Lüge: „Wir haben nur zurückgeschlagen.“ Diesmal spielt das Ganze nicht in Donezk, nicht in Georgien und nicht auf der Krim – sondern an der EU-Außengrenze. Lettland steht im Scheinwerferlicht. Aber nur scheinbar als Ziel. In Wahrheit geht es um etwas viel Größeres: das Recht auf Selbstverteidigung. Und wer das zuerst behauptet, hat den ersten Tag des Krieges bereits gewonnen.
Was derzeit an der Grenze zwischen Russland und Lettland entsteht, ist keine bloße militärische Muskelspielerei. Es ist ein strategisch kalkuliertes Schauspiel – präzise choreografiert für ein globales Publikum. Russland verlegt Panzerdivisionen, modernisiert Straßen und Brücken Richtung EU, reaktiviert alte Munitionsdepots, schirmt Zugtransporte ab, deaktiviert GPS-Signale, tarnt Konvois, eliminiert jede öffentliche Sichtbarkeit. Keine TikTok-Kolonnen. Keine Telegram-Videos. Keine Rotationsmeldungen. Was aussieht wie Geheimhaltung, ist in Wahrheit das Gegenteil: ein sichtbarer Schatten, der bedrohlich genug ist, um einen Reflex auszulösen – aber nie konkret genug, um ihn direkt zu benennen.
Genau das ist der Trick. Russland muss nicht angreifen. Es muss provozieren. Es muss wirken wie ein Land, das mit letzter Kraft die Ruhe bewahren will – und das nur noch auf einen Funken wartet, um mit „aller Härte“ zu reagieren. Ein angeblicher Sabotageakt auf ein russisches Depot in Pskow. Ein gefälschter Funkspruch mit litauischem Akzent. Ein geleakter NATO-Einsatzplan auf einem angeblich lettischen USB-Stick. Der Rest läuft automatisch. Bots feuern los. Videos tauchen auf. Augenzeugen melden sich. Medien greifen es auf. Und Russland steht da, wie es stehen will: überrascht, tief verletzt, aber leider gezwungen, sich „zu verteidigen“.
Diese Logik ist nicht neu. Aber in ihrer digitalen Ausführung ist sie tödlich präzise. Die militärische Struktur dahinter wurde bereits identifiziert – unter anderem von der US-amerikanischen Jamestown Foundation, einem Thinktank mit direktem Zugang zu NATO-Planungsstrukturen. Ihr Bericht ist eindeutig: Russland baut neue motorisierte Divisionen im Raum Pskow und Belarus auf, die in keinem offiziellen Bulletin auftauchen. Die Konvois mit nordkoreanischer Artillerie und Malva-Howitzern fahren nicht Richtung Ukraine. Sie verschwinden im Hinterland. In Reservestrukturen. Unsichtbar – aber jederzeit reaktivierbar.
Was Russland da baut, ist keine Armee. Es ist ein Szenario. Eine einstudierte Realität, die abrufbar ist, sobald ein Vorfall „passiert“. Und das Ziel ist klar: Russland will nicht siegen. Russland will sich verteidigen dürfen. Gegen den Westen. Gegen die NATO. Gegen ein erfundenes Eindringen aus Lettland. Dafür braucht es keinen echten Angriff – nur eine überzeugende Fälschung. Und eine Sekunde der Desorientierung im Westen.
Die militärische Route ist bekannt: Daugavpils – Rezekne – Jelgava – Riga. Aber die Route muss gar nicht beschritten werden. Die Drohung reicht. Der Zweifel reicht. Die Angst, etwas Falsches zu tun, reicht. Denn das eigentliche Ziel ist nicht die Kontrolle über Lettland. Sondern das Erzeugen eines Moments, in dem der Westen zögert – und Russland das Wort übernimmt.
Wer glaubt, das sei absurd, sollte sich erinnern, wie Deutschland 1939 in den Krieg eintrat: mit einem inszenierten Angriff auf den eigenen Radiosender in Gleiwitz. Heute braucht es keine Uniformen mehr. Keine Schauspieler. Keine echten Schüsse. Heute genügen ein Deepfake-Video, ein geleakter Funkspruch, eine orchestrierte TikTok-Kampagne mit „Augenzeugen“ und eine Armee aus Desinformationskanälen. Alles vorbereitet. Alles durchgespielt. Alles einsatzbereit.
Und während die EU noch diskutiert, ob das nun ein Angriff war oder nicht, marschieren russische Einheiten ein – nicht als Angreifer, sondern als empörte Friedensbringer. Der Einsatz ist dabei nicht Riga. Es geht um Knotenpunkte. Um logistische Nerven. Um psychologischen Schock. Wer die Autobahnen von Rēzekne nach Jēkabpils unterbricht, wer Tukum oder Ventspils abschneidet, schafft nicht nur militärische Fakten. Er zerschlägt das Vertrauen in die Verteidigungsfähigkeit der NATO. Und das ist die eigentliche Frontlinie: Vertrauen.
Russland will keine Städte einnehmen. Es will Begriffe zerstören. „Aggression“. „Verteidigung“. „Reaktion“. Wer dann noch sagt: „Russland hat angefangen“, wird von einer Flut aus gefälschten Beweisen überrollt. Videos, Leichen, Karten, Stimmen. Alles „authentisch“. Alles vorproduziert. Alles plausibel.
Die eigentliche Frage lautet nicht mehr, ob Russland angreift. Sondern: Wann beginnt das Narrativ? Und wer ist bereit, es zu widerlegen – bevor es die Realität ersetzt?
Kriege beginnen nicht mit Marschbefehlen.
Sie beginnen mit Bildern, Geschichten, Behauptungen.
Die nächste Front verläuft nicht zwischen Riga und Pskow – sondern zwischen Realität und Inszenierung.
Und Russland weiß: Wer als Erster lügt, hat zwei Tage Vorsprung.
Historischer Kontext: Der Überfall auf Gleiwitz – Die SS-Aktion zur
Kriegsvorbereitung 1939
Beleg für das klassische False-Flag-Prinzip, mit direkter Relevanz für
russische Vorwandszenarien heute.
Jamestown Foundation: Russia Is Exploiting Latvia’s Vulnerability to
Undermine the Defense of the Baltic States (Mai 2024)
Analyse über verdeckte Truppenverlagerungen, neue Divisionen und
Infrastrukturmodernisierung im Raum Pskow–Lettland.
Rochan Consulting: Russian military logistics update – Western MD,
Pskov and Belarus movements (Frühjahr 2024)
Bericht zu Bahntransporten, Malva-Artillerie, nordkoreanischen Systemen
und fehlender Verbindung zur Ukrainefront.
Estonian Foreign Intelligence Service: International Security and
Russia’s Aggression 2024 – Annual Report
Jahresbericht mit Fokus auf hybride Bedrohungslage im Baltikum,
semantische Kriegsführung und strategische Desinformation.
Latvian Ministry of Defence: Public Warnings and Infrastructure
Alerts near the Eastern Border (Q1 2024)
Offizielle Warnungen zur Aufrüstung, Wiederherstellung sowjetischer
Depots und Mobilisierung in Belarus.