Das Rote Meer brennt nicht. Es erstickt. Zwischen Angriffen der Huthi-Miliz, internationalen Marineeinsätzen und diplomatischen Placebos entsteht ein Vakuum, das längst kein regionales Problem mehr ist. Es ist ein neuer Kriegsschauplatz – ohne Panzer, aber mit globaler Wirkung. Und Russland steht mittendrin. Nicht als Brandstifter mit Fackel, sondern als Feuerwehr mit Benzinkanister.
Was nach einem jemenitischen Stellvertreterkrieg aussieht, ist in Wahrheit ein globaler Testlauf: Wie leicht lässt sich die Weltwirtschaft aushebeln, wenn man einen einzigen Engpass trifft? Die Antwort ist einfach: mit einem Boot, ein paar Drohnen und einem Narrativ. Die Angriffe der Huthis sind kein lokales Chaos, sondern eine strategische Operation im Schatten. Iran liefert Technologie, Russland liefert Logik – und beide haben dasselbe Ziel: Europa schwächen, ohne je auf Europa zu schießen.
Zur Erinnerung: Der Kampf um Handelsrouten ist kein neues Spiel. 1956, Suezkrise. Ägyptens Präsident Nasser verstaatlicht den Kanal, London und Paris greifen an – und verlieren. Die USA und die Sowjetunion erzwingen das Ende der Operation, und das alte Imperium kippt. Von da an galt: Wer die Seewege kontrolliert, kontrolliert den Welthandel. Und wer sie blockiert, kontrolliert die Panik.
Das ist der Code, den Moskau heute wieder abspielt. Nur digitaler, billiger und perfider.
Die Huthis treffen Tanker im Roten Meer – und jede Explosion lässt die Versicherungsprämien steigen, die Routen länger, die Waren teurer werden. Schon jetzt meiden 70 % der Schiffe den Suezkanal, um Afrika herum steigen die Kosten um das Dreifache, Lieferzeiten um bis zu 18 Tage. Für Europa bedeutet das keine Verzögerung – es bedeutet Verwundbarkeit.
Denn die Logistik ist nicht neutral. Sie ist Teil des Krieges.
Ohne sichere Routen gibt es keine Chips, keine Optiken, keine Präzisionsteile. Und ohne sie – keine Granaten, keine Drohnen, keine Panzerreparaturen. Russland weiß das. Es braucht keine Raketen auf Berlin, wenn ein Stau vor Dschibuti reicht. Jede blockierte Lieferung verlängert den Krieg, jeder Umweg bremst die Waffenproduktion, jedes „verspätet wegen Seeweg“ ist eine stille Niederlage.
Die Ukraine spürt das direkt. Der EU-Plan – eine Million Artilleriegeschosse pro Jahr – war schon zu langsam. Jetzt ist er faktisch eingefroren. Mikrokomponenten aus Asien stecken in Containern, die nicht ankommen. Ersatzteile fehlen, Preise explodieren, Produktionszyklen platzen. Das Red-Sea-Chaos ist keine ferne Krise, sondern eine operative Waffe – gegen Europas Verteidigung, gegen Kiews Durchhaltefähigkeit.
Und mittendrin steht Russland. Nicht mit Uniform, sondern mit Kalkül.
Moskau pflegt seit Jahren Kontakte zu den Huthis über Teheran. Russische Delegationen empfingen jemenitische Politiker, sprachen über „regionale Stabilität“ – während russische Medien Panik schürten und den eigenen „Nördlichen Seeweg“ als sichere Alternative anpriesen. Zufall? Kaum.
Jede Krise im Süden stärkt den Kurs im Norden. Der Arktische Korridor – Putins Lieblingsprojekt – profitiert von jedem Umweg durch das Kap. Kürzer, kälter, kontrollierbar. Die Blockade im Roten Meer wird so zur Werbung für Russlands arktische Route. Das Imperium verkauft die Störung – und bietet sich als Lösung an.
Damit trifft Moskau gleich drei Fliegen mit einem Schlag: ökonomischen Druck auf die EU, psychologische Destabilisierung der Lieferketten – und strategische Aufwertung seiner Arktisroute. Ein globaler Dominoeffekt, ausgelöst durch ein paar Drohnen im jemenitischen Sand.
Europa hat das noch nicht begriffen. Es spricht von „Piraterie“, von „regionaler Unsicherheit“. In Wahrheit läuft längst ein koordinierter Angriff auf seine industrielle Lunge. Deutschlands Autoindustrie, Frankreichs Luftfahrt, Italiens Maschinenbau – alle hängen am gleichen Faden. Und wer diesen Faden zieht, hält Europa am Hals.
1956 markierte das Ende des britisch-französischen Imperialismus. 2025 markiert vielleicht das Ende der europäischen Naivität. Das Rote Meer ist kein Krisengebiet. Es ist eine Frontlinie. Kein Angriff auf Tanker – sondern auf Zeit, Vertrauen, Lieferfähigkeit. Russland führt Krieg über Wege, nicht über Waffen. Und der Westen merkt es erst, wenn das Band reißt, das ihn mit der Welt verbindet.
Der neue Krieg wird nicht erklärt. Er wird verschifft. In Containern, auf Umwegen, mit Rechnungsnummer statt Marschbefehl.
Und während Europa diskutiert, wer schuld ist, liefert Russland schon die nächste Welle: Störungen, Verzögerungen, Alternativen. Kein Schuss. Kein Blut. Nur Stau.
Aber genau so verliert man Kriege. Leise. Mit offenen Häfen und geschlossenen Augen.
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— Trollhunter
Quellen und Einordnung:
Basierend auf aktuellen Analysen internationaler Wirtschafts- und Sicherheitskreise, darunter Berichte zu den Auswirkungen der Huthi-Angriffe im Roten Meer, zu russisch-iranischer Kooperation und zur Verlagerung globaler Handelsrouten. Ergänzt durch Daten der europäischen Reedereibranche, Aussagen von Energie- und Verteidigungsexperten sowie strategische Auswertungen über Moskaus Nutzung des Nördlichen Seewegs als geopolitisches Druckmittel.



