August 12, 2025

Russlands große Wette auf China geht schief. Der angeblich „freundliche Osten“ dreht gerade in aller Ruhe den Hahn zu – und keiner in Moskau kann es aufhalten. Der russische Kohleexport nach China ist im freien Fall. Im ersten Halbjahr 2025 minus 25 Prozent. Im zweiten Quartal minus 34 Prozent. Und dabei war China der letzte große Markt, der Putins Dreckskohle überhaupt noch haben wollte. Mehr als die Hälfte der russischen Kohleausfuhren ging bis vor Kurzem dorthin. Jetzt? Nur noch Absagen. Kein Bedarf mehr, heißt es aus Peking. Der Eigenbedarf ist gedeckt, der Markt gesättigt, das Klima ein Argument. Und Russland? Steht mit Millionen Tonnen auf Halde, während die Infrastruktur in Richtung Osten längst überlastet ist. Züge fahren lieber Metall und Getreide. Für Kohle bleibt kein Platz. Nicht auf der Schiene, nicht im Hafen, nicht mehr im Markt.

Was da gerade kollabiert, ist nicht irgendein Sektor. Es ist das Rückgrat ganzer Regionen. 650.000 Menschen hängen direkt oder indirekt an der Kohle – allein im Kusbass mehr als 110.000. Das sind nicht einfach Jobs, das ist politische Kontrolle. Wer dort den Lohn zahlt, kontrolliert die Stimmung. Und wenn der Lohn nicht mehr kommt, wird es ungemütlich.

Schon jetzt sind 51 von 179 Kohlefirmen offiziell „von Schließung bedroht“, sagt das russische Energieministerium. Inoffiziell bedeutet das: Keine Käufer, keine Einnahmen, kein Weiterbetrieb. Und das betrifft nicht die Fassade – sondern das Fundament. Die Stromversorgung. Denn Kohle liefert bis heute 15 Prozent der russischen Energie. Vor allem in Sibirien und im Fernen Osten. Gas steht dort nicht überall zur Verfügung. Wenn die Kohlemeiler kippen, wird’s dunkel. Und zwar nicht symbolisch.

Am deutlichsten spürt man das im Kusbass – dem gigantischen Kohlebecken in Westsibirien. Jahrzehntelang hat diese Region den gesamten Apparat mit Energie gefüttert. Doch das Modell ist kaputt. Die Exportzahlen brechen seit Jahren ein. Die Fördermengen bleiben hoch – aber keiner weiß mehr wohin mit dem Zeug.

Der Osten sollte die Rettung sein. Doch China hat sich längst neue Partner gesucht: Australien, Indonesien, Mongolei. Kürzere Wege, bessere Qualität, bessere Preise. Russland verliert auf ganzer Linie. Nicht weil der Westen Sanktionen verhängt hat, sondern weil der Osten nüchtern rechnet.

Kusbass ist ein Fossil. Keine Diversifizierung, keine Alternativen, keine Zukunft. Städte wie Berjosowski, Polysaevo oder Ossinnikij leben ausschließlich vom Bergbau. Wenn dort eine Mine dichtmacht, stirbt die Stadt. Und das ist keine Metapher. In Berjosowski etwa wurde 2024 bereits ein Teil des Betriebs heruntergefahren. 2025 folgen Sicherheitsmängel, Methanüberschreitungen, Arbeitsverbote. Der Betrieb steht auf der Kippe. Und das Hauptproblem: Es gibt keine Ausweichstrategie. Keine andere Industrie, kein Plan B, keine Lösung.

Gleiches Bild in Ossinnikij. Tiefe Stollen, alte Technik, steigende Risiken – und eine neue Förderstrecke, die im Herbst 2025 ohnehin ausläuft. Danach? Nichts mehr.

Die russische Aufsicht weiß längst, was los ist. Seit Anfang 2025 häufen sich Berichte über Methan, Explosionsgefahr, Einsturzrisiken. Ganze Flöze werden gesperrt, ganze Regionen abgehängt. Die Liste der betroffenen Minen wächst wöchentlich. Und jeder dieser Namen steht für eine Stadt, deren einzige Einnahmequelle verschwindet. Was bleibt, ist Leere. Und Wut.

Denn was passiert, wenn der letzte Lohn nicht mehr kommt? Wenn die Mine steht, das Licht flackert und die Familie hungert? Dann reicht ein Handyvideo. Ein geprügelter Schichtleiter, ein Protest auf dem Werksgelände, ein wütender Mob vor dem Verwaltungsgebäude – und plötzlich beginnt der Aufstand nicht in Moskau, sondern in der Provinz. Nicht wegen Idealen, sondern weil der Kühlschrank leer ist. Und genau das macht es gefährlich.

Die Proteste kommen nicht von Intellektuellen, sondern von Männern mit 30 Jahren Untertage-Erfahrung, die niemandem mehr zuhören und keinen Polizisten fürchten. Wenn die losgehen, bleibt nicht viel zu retten.

Natürlich kann der Kreml versuchen, sie zu kaufen. Oder einzusperren. Oder als „ausländische Agenten“ abzustempeln. Das hat bisher oft funktioniert. Aber nicht immer. Und wenn Kusbass kippt, kippt nicht nur eine Branche, sondern ein ganzes System.

Denn Russland ist nicht vorbereitet auf den sozialen Fallout eines industriellen Zusammenbruchs. Schon gar nicht in einer Region, die keinen Ersatz hat und keinen Ausweg sieht.

Die Ironie an der Sache: Russland hat jahrelang auf China gesetzt – und wird jetzt genau davon erledigt. Peking braucht keine „Freundschaft“. Peking braucht Zahlen. Und die sprechen gegen Russland. Denn russische Kohle ist zu weit weg, zu schmutzig, zu teuer. Und das macht Kusbass zu einem Auslaufmodell. Das kann man ignorieren, verdrängen oder kleinreden. Aber es bleibt Realität.

Während der Kreml weiter Krieg spielt, brechen zu Hause die Strukturen weg. Kein Wasser in Donezk, keine Ernte im Süden, leere Stauseen auf der Krim, geschlossene Fabriken im Ural. Und jetzt brennt auch noch der Kusbass. Nicht mit Feuer – sondern mit Stille. Keine Aufträge. Kein Transport. Keine Hoffnung.

Und das ist keine Folge der Sanktionen. Sondern ein hausgemachter Zerfall, der genau dort beginnt, wo man früher Stärke vermutet hat.

Der große Rückbau der russischen Föderation hat begonnen. Nicht durch Panzerdurchbrüche, sondern durch schleichende Implosion. Die Märkte wenden sich ab, die Strukturen fallen in sich zusammen, die Provinzen verlieren den Anschluss – und irgendwann auch die Geduld.

Kusbass ist nur der Anfang.
Tiktok.

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— Trollhunter

Quellen und Einordnung:

Der Text basiert auf einem Bloomberg-Artikel vom 26. Juli 2025 mit dem Titel „Russia Coal Exports to China Slump as Demand Wanes Amid Economic Shift“. Laut offiziellen russischen Angaben ist der Kohleexport nach China im ersten Halbjahr 2025 um 25 % eingebrochen. Im zweiten Quartal sogar um 34 %. Chinas Nachfrage sinkt wegen eigener Vorräte, Umweltzielen und Alternativen aus Australien, Indonesien und der Mongolei. Gleichzeitig meldet das russische Energieministerium, dass 51 von 179 Kohlebetrieben vor dem Aus stehen. Besonders betroffen: die Region Kusbass – Herz der russischen Kohleindustrie.

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