Manche Schiffe transportieren Güter. Andere Geschichten. Und dann gibt’s die Baltic Leader – 127 Meter russische Militärlogistik unter Zivilflagge. Gebaut auf einer deutschen Werft, gefahren unter wechselnden Namen, verkauft über Scheinfirmen, geführt von Sanktionierten, eskortiert von Kriegsschiffen. Und trotzdem auf hoher See. Mitten im Mittelmeer. Unter Beobachtung der NATO. Seit Jahren. Ohne dass jemand eingreift.
Die Baltic Leader ist kein normales Schiff. Sie ist ein System. RoRo-Frachter mit Platz für Fahrzeuge, Technik, Container – gebaut für schnelle Verladung, ideal für Nachschubtransporte. Offiziell fährt sie unter russischer Flagge, Rufzeichen UBEW6. Eigentümer? Wechselt ständig. Mal PSB Leasing – Tochter des russischen Militärfinanzierers Promswjasbank, unter US- und EU-Sanktionen. Dann angeblich MG-Flot, ein Hafendienstleister aus Astrachan, der ebenfalls sanktioniert ist. Dazwischen ein juristischer Tanz durch die französischen Gerichte, der 2024 damit endet, dass das Schiff formal wieder „freigegeben“ wird. Weil der Besitzerwechsel ein paar Wochen vor den Sanktionen lag. So umgeht man Recht, wenn man die Zeit manipuliert.
Seitdem ist das Schiff wieder unterwegs. Und zwar nicht irgendwo. Im Februar 2024 fährt es zwischen Noworossijsk und Tartus – Syriens Hafen, Moskaus südlicher Nachschubknoten. Im März 2025 taucht es im Ärmelkanal auf, begleitet von der russischen Korvette „Bojkij“. Britische und belgische Schiffe überwachen den Konvoi, sammeln Daten, fliegen Aufklärung. Kein Zugriff. Kein Stopp. Keine Durchsuchung. Stattdessen Notizen. Ende April 2025 läuft ein neuer Konvoi aus dem russischen Baltijsk aus – die Baltic Leader wieder mit dabei. Vor Gibraltar gesichtet. Dann vor Algerien. Dann vor Sizilien. Dann vor Kreta. Kein Ziel genannt. Kein Hafen angegeben. Kein Zweifel, was das ist.
Das Schiff ist ein fliegender Waffentransport. NATO-Geheimdienste wissen das. Britische Berichte bezeichnen es offen als militärischen Frachter. Ukrainische Analysten nennen es ein zentrales Glied der russischen Nachschubkette. Transportiert werden Technik, Raketensysteme, Ersatzteile, Personal – aus Syrien, aus dem Iran, möglicherweise auch aus Libyen. Alles Regionen mit russischem Einfluss, schwachen Regierungen und offenen Logistikfenstern. Und immer, wenn dieses Schiff fährt, fährt ein anderes Kriegsschiff daneben. Eskortiert, gedeckt, geschützt. Kein ziviler Zufall. Sondern militärischer Plan.
Italienische Luftwaffe? Fliegt Aufklärung. ATR P-72A – Aufklärungsflugzeuge, spezialisiert auf maritime Überwachung – beobachten die Baltic Leader im Mittelmeer, zuletzt am 10. Juni 2025. Frankreich? Hatte das Schiff 2022 festgesetzt – und nach einem juristischen Winkelzug wieder freigegeben. Deutschland? Schweigt. Und der Westen? Dokumentiert. Reagiert aber nicht. Die NATO weiß, was da fährt. Sie weiß, wem es gehört. Sie weiß, was drin ist. Und sie lässt es fahren.
Was hier passiert, ist keine Grauzone. Es ist ein Systembruch. Russland fährt seinen Krieg auf See – mit Frachtern, die offiziell nichts transportieren, aber de facto militärisches Gerät liefern. Sanktionen? Werden durch Strohmänner und Flaggenwechsel umgangen. Kontrolle? Existiert nur auf dem Radar. Und jedes Mal, wenn die Baltic Leader wieder irgendwo auftaucht, ist das ein Beweis für die strategische Naivität Europas. Wer denkt, das Mittelmeer sei eine sichere Zone, hat nichts verstanden. Wer glaubt, Putins Logistik endet an der syrischen Küste, hat nichts gesehen.
Diese Frachter sichern Russlands Kriegsfähigkeit ab. Nicht spektakulär. Sondern systematisch. Sie verbinden Stützpunkte, transportieren Waffen, evakuieren Truppen. Und sie fahren unbehelligt durch internationale Gewässer. Weil sie aussehen wie zivile Schiffe. Weil der Westen keine Linie zieht. Und weil niemand bereit ist, das Risiko einzugehen, sie zu stoppen.
Die Baltic Leader ist kein Einzelfall. Aber sie ist das sichtbarste Symbol dafür, wie weit Russland geht – und wie wenig wir dagegen tun. Ein Schiff mit militärischer Funktion, unter zivilem Deckmantel, durch halb Europa eskortiert, von NATO-Staaten beobachtet, aber nie angehalten. Sie ist eine schwimmende Lücke im System. Eine Waffe auf Rädern. Eine Leerstelle westlicher Konsequenz.
Und die eigentliche Frage ist nicht, wo sie morgen auftaucht.
Sondern, warum sie heute noch nicht auf dem Meeresgrund liegt.
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— Trollhunter
Quellen und Einordnung:
Alle Angaben im Text basieren auf öffentlich zugänglichen Quellen, u. a.
internationalen Schiffsverfolgungsdiensten (VesselTracker, MarineTraffic),
offiziellen Statements der NATO, der britischen Royal Navy und des französischen
Verteidigungsministeriums, Presseartikeln aus La Sicilia, französischen
Gerichtsurteilen (u. a. Cour d’appel de Douai, 2022/2024), US-Sanktionslisten
(OFAC, EO14024) sowie Recherchen ukrainischer Nachrichtendienste zur
russischen Militärlogistik über See.
Die Baltic Leader ist in mehreren westlichen Staaten als sanktioniertes Schiff
geführt. Ihr Einsatzmuster und die enge Koordination mit russischen
Kriegsschiffen weisen laut westlichen und ukrainischen Analysen eindeutig auf
eine militärische Nutzung im Rahmen des Syrien- und Ukrainekriegs hin.
Der Fall gilt als Beispiel für systematische Umgehung von Sanktionen durch
Eigentümerwechsel, Flaggenmanipulation und juristische Grauzonen – mit hoher
sicherheitspolitischer Relevanz für den Mittelmeerraum.