Es gibt Orte, die sind nicht nur krank – sie sind ein Symptom. Das Museum der „Sonderoperation“ auf dem Moskauer Ausstellungsgelände VDNCh ist so ein Ort. Früher war hier die Propaganda der Völkerfreundschaft untergebracht. Heute marschieren Kinder in Z-Schürzen an verkohlten Drohnenteilen vorbei, Lehrer flüstern von Opferbereitschaft, aus Lautsprechern tönt alle drei Minuten ein Befehl: „Wenn die Nazi-Drecksäcke wieder auferstehen, dürft ihr nicht tatenlos zusehen – greift zu den Waffen!“ Erst ruhig, dann schreiend. Wie in einer Messe. Oder einem Exorzismus.
Was der italienische Journalist Marco Imarisio dort beschreibt, ist kein Museum – es ist ein Tempel des Krieges. Mit Märtyrern, Altären, Reliquien. Die „Sonderoperation“ ist längst keine politische Maßnahme mehr. Sie ist Religion. Und der Krieg ist heilig. Mit Psalmen („Z“), Ikonen (Raketenmodelle), Ketzern (Verhandler) und einem Katechismus, der nur eine Wahrheit kennt: Sieg oder Untergang.
Und dann wird klar: Das ist nicht mehr Putins Krieg. Es ist der Krieg derer, die er großgezogen hat.
Die sogenannten „Patrioten Z“, einst bloße Komparsen im Propagandatheater, sind heute eine politische Fraktion – fanatisiert, organisiert, bewaffnet. Und sie haben eine einfache Botschaft: Frieden ist Verrat. Verhandlungen sind Blasphemie. Kompromiss ist Feigheit. Sie stören Sendungen, kapern Debatten, diktieren die Agenda. Und sie dulden keinen Zweifel. Nicht mal von oben.
Putin, der „Zar“, hat sie selbst gezüchtet. Jahrelang hat er sie verwöhnt – mit Plattformen, Sendezeit, Heldenmythen, Uniformen. Ein Zuchtbetrieb für patriotischen Wahn. Doch jetzt ist das Vieh aus dem Stall. Und der einstige Herrscher wirkt plötzlich wie der Hausmeister seiner eigenen Ideologie – zuständig fürs Saubermachen, aber nicht mehr fürs Steuern.
Denn wer einmal einen Kult erschafft, verliert das Kommando. Der Dealer steht zwar noch im Kreml, aber die Kunden wollen härteren Stoff. Und wehe, er liefert nicht. Dann wird er selbst zur Zielscheibe.
Girkin, der Kriegsverbrecher von 2014, sitzt heute im Gefängnis – nicht wegen Butscha, sondern weil er Putin „weich“ nannte. Prigoschin, der Messias der Militärmeuterer, wurde zuerst aufgebaut und dann eliminiert, als sein Kult zu laut wurde. Die rote Linie ist klar: Du darfst ein Fanatiker sein – aber kein Rivale. Du darfst Krieg fordern – aber nicht den Thron.
Das System hat sich in seinem eigenen Dogma eingemauert. Es lebt vom Ritual der Eskalation. Vom Blut. Vom Opfer. Wer Frieden predigt, zerschlägt das Sakrament. Und deshalb ist es vollkommen egal, was Putin will. Er kann den Krieg nicht beenden, ohne selbst geopfert zu werden. Sein Apparat ist längst süchtig nach Gewalt – und jede Entwöhnung wäre ein Entzug mit Bürgerkriegsgefahr.
Der Kreml versucht gegenzusteuern: neue Generäle, härtere Masken, symbolische Zugeständnisse. Doch es ist zu spät. Das Monster ist draußen. Es spricht mit eigenen Stimmen. Es finanziert eigene Medien. Es baut eigene Legenden. Und es akzeptiert keine Pause.
Und das Erstaunlichste? Ein italienischer Journalist hat es erkannt. Nach zwölf Jahren Ukrainekrieg, nach zehntausenden Toten, nach so vielen westlichen Illusionen über Wandel durch Handel – da schreibt jemand in der Corriere della Sera, was deutsche Leitartikel bis heute nicht aussprechen: Russland ist kein autoritärer Staat im Krieg. Russland ist ein faschistischer Kult im Blutrausch.
Putin hat ihn geschaffen. Und jetzt dient er ihm. Nicht mehr umgekehrt.
Z wie Zuchtbetrieb.
Z wie Zwangssystem.
Z wie Zusammenbruch.
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel des italienischen Journalisten Marco Imarisio, erschienen in der Corriere della Sera. Imarisio besuchte das Moskauer Museum zur „Sonderoperation“ und schildert in nüchternem Ton, wie offen faschistisch das dort vermittelte Weltbild ist. Seine Beobachtungen zeigen: Die russische Z-Bewegung ist längst keine staatlich kontrollierte Propagandablase mehr, sondern eine radikale politische Realität – mit eigenem Machtanspruch.
Der Originalartikel erschien im Mai 2024 unter dem Titel:
„Putin e i patrioti Z: ora sono un problema“ (Corriere della Sera, 14.05.2024).