Russland bleibt Russland – und das ist das Problem

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Verfasst von Watchdog

Dezember 17, 2025

Es gibt Staaten, die Bürger wollen. Und es gibt Russland. Russland will kein Volk, sondern Material. Das ist der einzige Konstantfaktor dieses Landes – egal ob Zar, Sowjet oder Putin. Wer das nicht versteht, verliert Zeit. Wer es versteht, sieht sofort, warum Russland heute genau so handelt wie vor 300 Jahren: Es funktioniert nur, wenn Menschen sich freiwillig kleiner machen, als sie sind.

In der Ukraine nennt man das Holopstvo. Im Westen nennt man es „schwer zu erklären“. Nekrasov dagegen hat es einfach beschrieben. Er war kein Dissident, kein Revolutionär, nur ein Mann, der früh begriff, dass Russland nicht regiert wird – Russland wird durch Gewöhnung geformt. Und diese Gewöhnung heißt: Wer oben schlägt, bleibt oben. Wer unten liegt, bleibt liegen. Und wer dazwischen steht, wird weggeräumt.

Nekrasov hatte den Vorteil, halb außerhalb zu stehen. Ein Vater, der seine Leibeigenen verprügelte, bis selbst Offiziere die Augen wegdrehten. Eine Mutter aus einer Kultur, in der Menschen theoretisch Rechte hatten. Zwischen diesen Welten schärft sich ein Blick, dem nichts entgeht. Und Nekrasov sah ein Russland, das Bücher meidet, Dreck liebt, Mitleid verachtet und Macht nur als Gewalt erkennt. Kein Missverständnis, keine Übertreibung – reine Beobachtung.

Sein „Ivan“ ist keine Figur. Er ist die Blaupause. Ein Mensch, dem man jede Eigenständigkeit aus dem Körper geprügelt hat. Dauerbetrunken, dauerverprügelt, dauerfügsam. Einer, der lügt, weil Wahrheit nie belohnt wurde. Einer, der klaut, weil Moral nie existierte. Einer, der seinem Herrn die Hand küsst, weil Unterwerfung der einzige Ort ist, an dem er sicher ist. Und wenn er sich erhängt – die einzige selbstbestimmte Handlung seines Lebens –, schneidet man ihn los, gibt ihm Wodka und schleift ihn zurück in die Spur. Systemstabilität vor allem.

Das Entscheidende ist nicht, dass Russland so war. Das Entscheidende ist, dass es so blieb. Nekrasov glaubte kurz an die Befreiung der Leibeigenschaft. Doch kaum waren die Fesseln weg, suchten viele einen neuen Herrn. Nicht aus Dummheit, sondern aus Programmierung. Freiheit ist eine Fähigkeit. Russland hat sie nie trainiert. Und ein Mensch, der nicht gelernt hat, sich selbst zu gehören, wird sich immer jemandem anderen gehören wollen.

Diese Logik ist bis heute operativ. Putin muss nicht überzeugen. Er muss nur dafür sorgen, dass Gehorsam vertrauter wirkt als Widerstand. Russland braucht keine Ideologie – das System selbst ist die Ideologie. Schmerz ist Orientierung, Gewalt ist Kommunikation, Unterwerfung ist Routine. In so einem Umfeld braucht Macht keinen Inhalt. Sie muss nur existieren. Und je sichtbarer der Schlag, desto stabiler die Ordnung.

Deshalb jubeln Menschen einem Mann zu, der sie verarmen lässt, ihre Söhne verheizt, ihre Zukunft ruiniert. Nicht, weil sie ihn lieben. Sondern weil sie gelernt haben, dass er der Einzige ist, der ihnen sagt, was zu tun ist. In Russland ist der Herr nicht jemand, dem man vertraut – er ist jemand, den man erträgt. Und Ertragen ist dort eine Tugend.

Nekrasov schrieb: „Menschen knechtischen Standes sind wie Hunde. Je härter die Strafe, desto lieber ist sie ihnen.“ Kein Rassismus. Keine Arroganz. Nur das Ergebnis einer Gesellschaft, die jahrhundertelang alles bestraft hat, was nach Aufbruch aussah. Wer in so einer Welt lebt, entwickelt keinen Bürgerinstinkt. Er entwickelt Überlebensroutine. Und Routine schlägt jedes Ideal.

Für Europa ist das mehr als ein russisches Innenproblem. Russland exportiert diese Struktur. Holopstvo ist kein kulturelles Detail, sondern ein außenpolitisches Werkzeug. Moskau erwartet von anderen Staaten dasselbe wie von den eigenen Menschen: Nachgeben, Einlenken, Unterordnung. Deshalb endet jeder „Dialog“ mit Russland im gleichen Muster: Der Westen bietet Kompromisse, Russland interpretiert sie als Einladung. Russland verhandelt nicht. Russland prüft Belastbarkeitsgrenzen.

Nekrasov sah die Logik, lange bevor Panzer sie sichtbar machten. Er sah Millionen Ivanes, die unterdrückt wurden – und klagten, als man sie befreite. Er sah ein Land, das nur funktioniert, wenn oben jemand tritt und unten jemand stillhält. Und er sah, wie tief diese Mechanik verankert ist. Nicht im Blut. In der Wiederholung. Wer 20 Generationen lang beigebracht bekommt, dass der Herr über Leben und Tod entscheidet, reagiert nicht als Bürger, sondern als Objekt.

Heute marschieren russische Soldaten nicht, weil sie an irgendetwas glauben. Viele marschieren, weil sie nie gelernt haben, Nein zu sagen. Weil niemand ihnen beigebracht hat, dass sie ein eigenes Leben besitzen. Und wer kein eigenes Leben hat, hat auch nichts zu verlieren. Für Putin ein strategischer Vorteil. Für Europa ein Risiko.

Denn Russland ist nicht unberechenbar. Russland ist vorhersehbar in seiner Unfreiheit. Ein Staat, der Menschen als Rohstoff behandelt, wird auch mit anderen Ländern so umgehen. Nicht aus Ideologie – aus Gewohnheit.

Nekrasov hatte Mitleid. Wir nicht. Nicht aus Härte, sondern aus Klarheit. Dieses System bricht nicht durch Verständnis. Es bricht nur durch Grenzen. Nicht durch Vertrauen. Durch Konsequenz. Russland kann man nicht „einbinden“. Russland muss man begrenzen.

Erst wenn das Holopstvo als Machttechnik bricht, kann dort etwas Neues entstehen. Bis dahin bleibt Russland das, was es seit Jahrhunderten ist: ein Staat, der nur funktioniert, wenn jemand oben schlägt und jemand unten schweigt. Und genau deshalb bleibt es eine Gefahr für jeden, der glaubt, man könne Unterwerfung verhandeln.

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Quellen und Einordnung:

Die Darstellung beruht auf Nikolai Nekrasovs originalen Gedichten und Prosatexten sowie auf historischer Forschung zur Leibeigenschaft im Russischen Reich (insbesondere sozialgeschichtliche Arbeiten des 18.–19. Jahrhunderts). Die beschriebenen Muster von Gewalt, Abhängigkeit und sozialer Unterordnung sind in zeitgenössischen Berichten, Memoiren, Verwaltungsakten und literarischen Quellen breit dokumentiert und gelten in der Forschung als prägende Strukturmerkmale der russischen Gesellschaft bis weit ins 20. Jahrhundert.
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