Was passiert, wenn Europa aufhört, sich vor Russland zu fürchten
Frankreich und Großbritannien denken laut darüber nach, Truppen in die Ukraine zu schicken – nicht für den Krieg, sondern für danach. Keine Friedensmission im UN-Sinn, kein Sicherheitsabkommen, sondern etwas ganz anderes: eine neue Realität. Und Moskau? Schweigt. Spielt beleidigte Supermacht.
2025 ist das Jahr, in dem Europa nicht mehr fragt, wo Putins rote Linien verlaufen. Es ist das Jahr, in dem europäische Offiziere nach Kyjiw reisen – nicht heimlich, nicht mit Ausreden, sondern ganz offen. Um dort die neue ukrainische Armee mit aufzubauen. Die Ukraine wird nicht „gerettet“. Sie wird umgerüstet. Reformiert. Neu bewaffnet. Und damit: unangreifbar gemacht.
“Beruhigungskräfte”? Für wen genau?
Frankreich nennt sie „forces de désescalade“. Klingt nett. Fast therapeutisch. Aber beruhigt wird hier nicht die Ukraine – beruhigt wird der Westen. Nach Jahren der Feigheit, der Appeasement-Deals, der Merkel’schen Gasrabatte und Scholz’schen Wartephasen kommt jetzt der Punkt, an dem Europa sich selbst erklären muss, dass es nicht wieder versagt.
Diese „Kräfte“ sind kein Akt der Fürsorge – sie sind ein geopolitischer Selbstrespektversuch. Eine Art westliche Rehabilitationsmaßnahme. Ziel: nie wieder 2014. Nie wieder Minsk. Nie wieder Worthülsen auf russischem Blut.
Moskau – der stumme Hund im Nebenzimmer
Und Russland? Keine Reaktion. Keine „Entscheidungszentren“, keine Atomkulisse, kein Gewinsel mit dem großen Zeigefinger. Der Kreml hat sich verkalkuliert. Dachte, er könnte mit drei Tagen Blitzkrieg die Weltordnung umschreiben – und sieht jetzt zu, wie westliche Militärchefs in Kyjiw strategische Planung machen.
Putin schaut zu, wie Macron, Starmer und Scholz gemeinsam mit Selenskyj die Grundlagen für eine Armee legen, die Russland nicht mehr „bestrafen“ kann, sondern abschreckt. Mit Strukturen, die nichts mehr mit Sowjetlogik zu tun haben. Und mit einer politischen Rückendeckung, die nicht mehr „Was sagt Moskau?“ fragt, sondern „Wie viele Panzer braucht Kyjiw nächste Woche?“
Die multipolare Welt kippt – und Russland steht schief
Die „führende Macht des globalen Südens“ – wie sich Russland selbst gern nennt – hat keinen Sitz mehr am Tisch. Kein Veto. Kein Druckmittel. Nicht einmal mehr die Glaubwürdigkeit, als ernstzunehmender Verhandlungspartner durchzugehen. Und das wissen nicht nur die in Brüssel oder Washington – das weiß inzwischen auch der Kreml. Deshalb wird dort geschwiegen. Aber nicht souverän – sondern aus Panik. Aus Kontrollverlust.
Macron bittet nicht. Er kündigt an.
Wenn Macron erklärt, dass französische Offiziere nach Kyjiw kommen, dann ist das keine Einladung zum Dialog – das ist ein Signal. Er bittet nicht um Erlaubnis. Er erklärt, dass es passiert. Und das ist vielleicht die größte politische Demütigung für Moskau: Dass der Westen nicht mehr wartet, ob Russland zustimmt. Sondern schlicht macht.
Dass europäische Staaten jetzt öffentlich über Truppenpräsenz in der Ukraine sprechen, ist nicht nur ein politischer Tabubruch – es ist eine gezielte Ohrfeige für alles, was der Kreml die letzten 20 Jahre zu kontrollieren glaubte. Vor allem aber ist es das Ende einer Illusion: der Illusion, Russland könnte über die Zukunft Osteuropas noch mitbestimmen.
Das Vetorecht ist tot – die Ukraine lebt
Jeder französische oder britische Offizier, der in Zukunft auf ukrainischem Boden stationiert wird, ist mehr als ein Partner. Er ist ein Beweisstück. Ein Beweis dafür, dass Russland kein Vetorecht mehr hat. Dass der Westen keine Genehmigung mehr einholt. Dass der Preis für 2014 – zu spät, zu lau, zu ängstlich – endlich bezahlt wird.
Die NATO kommt nicht über Artikel 5. Sie kommt durch die Vordertür. Nicht als Bündnis, sondern als Realität. Weil man irgendwann merkt, dass es keine Zeit mehr gibt, um auf Formalitäten zu warten.
Und der Kreml? Redet sich selbst in den Wahnsinn.
Die Propagandamaschine kann weiter schnattern von „Entscheidungszentren“, von „Strafen“, von „roten Linien“. Doch der Rest der Welt hat längst aufgehört, zuzuhören. Russland ist nicht mehr „gefährlich“ – es ist vorhersehbar. Und das ist das Schlimmste, was einem Erpresser passieren kann: dass er langweilig wird.
Das geopolitische Zentrum Europas liegt jetzt in Kyjiw
Heute dreht sich nichts mehr um Moskau. Heute kreisen Gipfel, Budgets, Waffenlieferungen, Strategiepapiere, Sicherheitskonzepte – um Kyjiw. Die Ukraine ist nicht mehr Bittstellerin. Sie ist der Prüfstein für westliche Glaubwürdigkeit. Und Europa? Hat – vielleicht zum ersten Mal seit langem – verstanden, dass man kein Friedenstheater mehr aufführen kann, während Russland Raketen auf Krankenhäuser schießt.
Der Zug fährt. Und er hält nicht in Moskau.
Als Russland in die Ukraine einmarschierte, wollte es Geschichte schreiben. Am Ende hat es nur das eigene Drehbuch zerrissen – und die Tür für westliche Truppen in Osteuropa geöffnet.
Ohne Beitritt, ohne Vertrag, ohne Applaus. Aber mit Wirkung. Und mit Konsequenz.
Der Westen steigt nicht mehr ein in Putins Bus.
Der Westen fährt.
Und wir sitzen vorn. Am Fenster.
Und sehen zu, wie Moskau kleiner wird.
Immer kleiner.
